September 30, 2024
Rechtlicher Streit um fiktionale Darstellungen basierend auf wahren Geschichten

Die Miniserie „Rentierbaby“ („Baby Reindeer“) des Streaminganbieters Netflix sorgt für juristischen Wirbel. Wie die FAZ berichtet, hat die schottische Anwältin Fiona Harvey Klage gegen Netflix eingereicht. Harvey fühlt sich durch die Darstellung der Figur „Martha“ in der Serie verleumdet und fordert einen Schadenersatz in Höhe von 170 Millionen Dollar.

Kern des Rechtsstreits ist die Frage, inwieweit die Serie, die sich mit dem Thema Stalking auseinandersetzt, als „wahre Geschichte“ vermarktet werden darf. Netflix bewirbt „Rentierbaby“ mit dem Zusatz „basierend auf einer wahren Geschichte“. Tatsächlich verarbeitet der Autor und Hauptdarsteller der Serie, Richard Gadd, darin eigene Erfahrungen mit einer Stalkerin.

Fiona Harvey sieht sich als reales Vorbild für die Figur der „Martha“ und behauptet, die Serie zeichne ein verzerrtes Bild der Geschehnisse. Sie räumt zwar ein, Gadd kennengelernt und Kontakt zu ihm gehabt zu haben, bestreitet aber die schwerwiegenden Vorwürfe, die in der Serie erhoben werden. So sei sie weder wegen Stalkings verurteilt worden noch habe sie Gadd sexuell belästigt.

Der zuständige Richter am Bezirksgericht in Kalifornien, Gary Klausner, gab Harvey nun in einem wichtigen Punkt Recht. Er wies den Antrag von Netflix zurück, die Klage abzuweisen. Klausner argumentierte, dass die Serie durch die Bewerbung als „wahre Geschichte“ beim Zuschauer den Eindruck erwecke, die dargestellten Ereignisse entsprächen den Tatsachen. Dies sei jedoch nicht der Fall. So sei Harvey nie strafrechtlich verurteilt worden, während die Figur der „Martha“ in der Serie eine Haftstrafe verbüßt.

Der Richter merkte an, dass es einen Unterschied mache, ob jemand des Stalkings beschuldigt oder tatsächlich verurteilt werde. Auch sei zwischen unangemessenen Berührungen und sexuellem Missbrauch zu unterscheiden. Netflix habe es versäumt, deutlich zu machen, dass es sich bei der Serie um eine fiktionalisierte Darstellung handele, so Klausner.

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Problematik der künstlerischen Freiheit und deren Grenzen, wenn es um die Verarbeitung realer Ereignisse und Personen in fiktionalen Werken geht. Besonders brisant ist die Frage, inwieweit der Schutz der Privatsphäre und des Persönlichkeitsrechts gewahrt werden muss, wenn die vermeintlichen Opfer durch die Berichterstattung identifizierbar werden.

Der Ausgang des Verfahrens bleibt abzuwarten. Es ist jedoch jetzt schon absehbar, dass der Fall weitreichende Folgen für die Art und Weise haben könnte, wie Streamingdienste und Produktionsfirmen in Zukunft mit dem Label „wahre Geschichte“ umgehen werden.

Quelle: miha./FAZ.NET

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