19.10.2024
Rücktritte und Proteste bei Thyssenkrupp Steel sorgen für Unsicherheit

Top-Aufsichtsräte von Thyssenkrupps Stahlsparte treten zurück

Der seit Wochen schwelende Machtkampf innerhalb des Stahl- und Technologiekonzerns Thyssenkrupp hat nun zu bedeutenden personellen Veränderungen geführt. In einer Pressekonferenz am Donnerstag bestätigte der Aufsichtsratsvorsitzende der Stahlsparte, Sigmar Gabriel, dass drei der fünf Vorstandsmitglieder von Thyssenkrupp Steel ihre Ämter niederlegen werden. Dies betrifft den Vorstandsvorsitzenden Bernhard Osburg, den Personalvorstand Markus Grolms sowie Heike Denecke-Arnold, die bislang für das Ressort Logistik verantwortlich war.

Gabriel erklärte, dass die Rücktritte „im gegenseitigen Einvernehmen“ erfolgten. Zudem kündigten vier Aufsichtsratsmitglieder, darunter auch Gabriel selbst, an, ihre Mandate niederzulegen. Dies betrifft auch den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden Detlef Wetzel sowie die Aufsichtsratsmitglieder Elke Eller und Wilhelm Schäffer. Gabriel betonte, dass für alle vier die „Geschäftsgrundlage entfallen“ sei.

Die Differenzen zwischen dem Vorstandsvorsitzenden der Thyssenkrupp AG, Miguel López, und dem Vorstand der Stahlsparte sind laut Gabriel erheblich. Er kritisierte eine „beispiellose Kampagne“, die López in den vergangenen Wochen gegen den Vorstand der TKSE geführt habe. Dies habe nicht nur die Handlungsfähigkeit des Stahlvorstands beeinträchtigt, sondern sei auch ein schwerer Vertrauensbruch gewesen. Gabriel verwies auf die Vereinbarung, unabhängige Gutachter zu beauftragen, um den Finanzbedarf der TKSE zu analysieren. Diese Maßnahme sollte helfen, eine Einigung über die Sanierung und die Mitgift des Konzerns an die Stahlsparte zu erzielen. Allerdings hatte der Konzernvorstand kurz nach dieser Einigung den Stahlvorstand öffentlich aufgefordert, einen tragfähigen Businessplan vorzulegen, was zu weiteren Spannungen führte.

Die Situation wird zusätzlich durch die bereits erfolgte Übernahme von 20 Prozent der Anteile an der Stahlsparte durch die Holding EPCG des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky kompliziert. Es ist geplant, dass Kretinsky perspektivisch weitere 30 Prozent erwerben möchte, um ein 50:50 Joint-Venture zu bilden.

Im Vorfeld der Sitzung kam es an Thyssenkrupps Stahlstandort in Duisburg zu massiven Protesten von Arbeitnehmervertretern und der IG Metall. Schätzungen zufolge versammelten sich rund 1000 Menschen vor dem Werk. Die Demonstranten rollten ein großes Transparent mit der Aufschrift „Zukunft statt Kündigung“ aus und verwandelten die Wiese vor der Zentrale in einen symbolischen Friedhof mit Holzkreuzen und Grablichtern. Auf weiteren Transparenten war das Gesicht von López zu sehen, durchgestrichen mit der Aufschrift „LópezNotMyCEO“. Die IG Metall errichtete eine symbolische Barrikade vor den Drehtüren der Zentrale, während Hunderte Beschäftigte, teils in Arbeitskleidung, lautstark „Stahl ist Zukunft“ und „López raus“ riefen. Rechts und links des Eingangs loderten Flammen aus brennenden Tonnen, und Qualmwolken hingen über dem gesamten Gelände.

Die Proteste hatten bereits vor der Sitzung begonnen und waren so laut, dass sich sogar die Bundesregierung und das Land Nordrhein-Westfalen einmischten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Ministerpräsident Hendrik Wüst hatten um eine Verschiebung der Aufsichtsratssitzung gebeten, um weitere Gespräche zu ermöglichen. Gabriel äußerte Verständnis für den Wunsch der Politik, wies jedoch darauf hin, dass die betroffenen Vorstandsmitglieder das Vertrauen in die Fähigkeit des Vorstandsvorsitzenden der Thyssenkrupp AG zur Zusammenarbeit verloren hätten.

Die Rücktritte der Vorstandsmitglieder und die damit verbundenen Spannungen werfen Fragen zur Zukunft der Stahlsparte auf. Thyssenkrupp Steel Europe ist Deutschlands größter Stahlhersteller mit über 26.000 Beschäftigten, von denen allein 13.000 in Duisburg arbeiten. Die IG Metall und verschiedene Arbeitnehmervertreter äußerten sich besorgt über die möglichen Folgen der Rücktritte und die angestrebten Restrukturierungen. Gewerkschaftsvertreter befürchten, dass die Pläne zur Reduzierung der Produktionskapazitäten und der damit verbundenen Arbeitsplatzverluste gravierende Auswirkungen auf die Belegschaft haben könnten.

Die politischen Reaktionen auf die Entwicklungen waren ebenfalls deutlich. Der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link äußerte sich besorgt über den Umgang von Thyssenkrupp mit der Stahlsparte und warnte vor einem enormen Kompetenzverlust durch die personellen Veränderungen. Er bezeichnete die Situation als Ausdruck einer beängstigenden Hilflosigkeit.

Insgesamt zeigt die aktuelle Lage bei Thyssenkrupp, wie komplex und angespannt die Verhältnisse innerhalb des Unternehmens sind. Die Rücktritte der Führungskräfte sind nicht nur ein Zeichen für interne Konflikte, sondern auch für die Herausforderungen, vor denen die Stahlsparte steht, während sie sich in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld neu aufstellen will.

Quellen: F.A.Z., dpa, AFP

Weitere
Artikel