19.10.2024
Transgender-Athletik und Inklusion: Valentina Petrillos Weg zu den Paralympics

Transgender-Läuferin Petrillo: „Als Frau zu laufen, ist alles, was ich will“

Die Paralympischen Spiele 2024 in Paris sind nicht nur ein Schauplatz für sportliche Höchstleistungen, sondern auch ein Forum für bedeutende gesellschaftliche Debatten. Eine der zentralen Fragen, die in diesem Jahr aufgeworfen wurde, betrifft die Teilnahme von Transgender-Athleten, insbesondere die der italienischen Läuferin Valentina Petrillo. Ihr Debüt im Stade de France hat sowohl Bewunderung als auch Kontroversen ausgelöst, und sie selbst hat sich klar zu ihrer Identität bekannt.

Valentina Petrillo, die über viele Jahre hinweg als Mann Wettkämpfe bestritt, hat sich einer Hormontherapie unterzogen und trat mit 51 Jahren erstmals bei den Paralympischen Spielen gegen Frauen an. In einem Interview mit der BBC äußerte sie: „Ich bin glücklich als Frau, und als Frau zu laufen, ist alles, was ich will.“ Ihre Geschichte ist geprägt von Herausforderungen, die durch ihre Sehbehinderung, bedingt durch die Netzhautkrankheit Morbus Stargardt, noch verstärkt werden.

Die Diskussionen um Petrillos Teilnahme begannen bereits vor den Spielen und wurden vor allem in sozialen Netzwerken geführt. Der Deutsche Behindertensportverband (DBS) äußerte sich zunächst zurückhaltend und wartete auf ein internes Treffen, um eine klare Position zu beziehen. Delegationsleiter Karl Quade erklärte, dass man die Entscheidungen der internationalen Verbände respektiere, jedoch für die Zukunft klare Regeln fordere. „World Athletics hat diese Regeln, Para-Athletics nicht“, so Quade.

Nach den aktuellen Richtlinien des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) darf Petrillo an Frauenwettbewerben teilnehmen, solange sie die erforderlichen Testosteronwerte nachweisen kann. IPC-Präsident Andrew Parsons betonte, dass diese Regeln „für den Moment“ gelten und eine einheitliche Lösung angestrebt wird. Er begrüßte Petrillos Teilnahme und bezeichnete die Paralympics als Botschafter für Inklusion.

Im Stade de France zeigte Petrillo eine respektable Leistung, indem sie in ihrem Vorlauf den zweiten Platz belegte, jedoch im Halbfinale als Sechste ausschied. Trotz des enttäuschenden Ergebnisses äußerte sie sich positiv: „Ich sollte glücklich sein, auch wenn ich ein bisschen niedergeschlagen bin. Ich hoffe, mein Sohn wird stolz auf mich sein. Das ist wichtig, weil er einen Vater hat, der trans ist, und ich bin nicht der Vater, von dem jeder träumt.“

Emotionen überkamen sie, als sie unter Tränen appellierte: „Behandelt Transgender-Menschen nicht schlecht. Wir leiden. Es gibt Menschen, die sich umbringen. Das ist nicht in Ordnung. Wir tun niemandem etwas.“ Diese Worte verdeutlichen die tiefgreifenden Herausforderungen, mit denen Transgender-Personen konfrontiert sind, und die Notwendigkeit eines respektvollen Umgangs in der Gesellschaft.

Die Debatte um Transgender-Athleten ist nicht neu. Bereits 2016 trat die niederländische Athletin Ingrid van Kranen im Para-Diskuswurf an, und auch bei den Olympischen Spielen in Paris standen die Kämpfe der Boxerinnen Imane Khelif aus Algerien und Lin Yi-ting aus Taiwan im Fokus der Diskussionen. Diese Ereignisse zeigen, dass die Fragen rund um Geschlechtsidentität und sportliche Fairness weit über den Sport hinausgehen und auch politische Dimensionen annehmen.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat in der Vergangenheit Geschlechtertests der International Boxing Association (IBA) als „willkürliche Entscheidung ohne ordnungsgemäßes Verfahren“ kritisiert. Khelif und Lin durften teilnehmen, da sie als Frauen geboren wurden und über Jahre hinweg an Wettbewerben für Frauen teilgenommen hatten. Die IBA hatte zuvor „Wettbewerbsvorteile“ festgestellt und die beiden Athletinnen ausgeschlossen, was zu weiteren Kontroversen führte.

Petrillo sieht sich selbst als Vorbild und möchte durch ihre Teilnahme an den Paralympics ein positives Zeichen setzen. „Ich träume von einer Zukunft, in der es keine Kinder, Mädchen, Teenager mehr gibt, die gezwungen sind, sich zu verstecken, Angst zu haben, sich nicht so ausdrücken zu können, wie sie sind: in der Familie, in der Gesellschaft, bei alltäglichen Aktivitäten“, erklärte sie. Ihr historischer Auftritt ist nicht nur ein persönlicher Erfolg, sondern auch ein Schritt in Richtung mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz für Transgender-Personen im Sport.

Am Freitag wird Petrillo erneut an den Start gehen. Unabhängig von den Ergebnissen ihrer Wettkämpfe hat sie bereits jetzt Geschichte geschrieben. „Ich möchte nichts mehr über Diskriminierung und Vorurteile gegenüber Transgender-Personen hören. Ich habe es geschafft. Wenn ich es schaffen kann, kann es jeder schaffen“, so Petrillo abschließend.

Die Paralympischen Spiele 2024 sind somit nicht nur ein sportliches Ereignis, sondern auch ein bedeutendes Kapitel im Kampf für Gleichheit und Akzeptanz in der Gesellschaft.

Quellen: FAZ, dpa, Tagesspiegel, Junge Welt, Mindener Tageblatt

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