October 4, 2024
Scholz trifft umstrittene Entscheidung zu Strafzöllen auf chinesische Elektroautos

Bundesregierung: Und wieder ein Machtwort

Bundeskanzler Olaf Scholz hat erneut von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht und im Streit um Strafzölle auf chinesische Elektroautos ein Machtwort gesprochen. Die Entscheidung sorgt für Irritationen in Europa und neuen Ärger innerhalb der Ampelkoalition. Insbesondere die Grünen zeigen sich empört.

Gegen den Willen seines grünen Koalitionspartners ordnete Scholz eine deutsche Gegenstimme zum Zollbeschluss der EU-Kommission an. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, ist dies bereits das zweite Mal in seiner Amtszeit, dass Scholz zu diesem Mittel greift. Damit ist er nach Konrad Adenauer der zweite Kanzler überhaupt, der explizit von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch macht. Bisher reichte es in der deutschen Verfassungspraxis in der Regel aus, dass der Regierungschef theoretisch das letzte Wort hat.

Scholz' Entscheidung wird daher als ein Zeichen der Schwäche und als weiterer Hinweis auf die Zerrüttung in der Ampelkoalition gewertet. Auch auf europäischer Ebene sorgt das deutsche Nein für Irritationen. Deutschland konnte sich mit seiner Position nicht durchsetzen und steht nun isoliert da. Die EU-Kommission wirft China unfaire Subventionen vor und hatte die Einführung von Strafzöllen auf chinesische E-Autos in Höhe von bis zu 35,3 Prozent vorgeschlagen. In einer Abstimmung der 27 EU-Staaten erhielt die Kommission die erforderliche Unterstützung für ihr Vorhaben. Zehn Länder stimmten für die Zölle, dem deutschen Nein schlossen sich nur Ungarn, Slowenien, die Slowakei und Malta an. Zwölf Mitgliedstaaten enthielten sich.

Um die Zölle verhindern zu können, hätte sich eine Mehrheit der EU-Staaten gegen das Vorhaben aussprechen müssen, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen. Insbesondere Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte das Vorhaben der EU-Kommission unterstützt. Das von Scholz durchgesetzte Nein gilt daher auch als ein Signal an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Scholz sieht durch die Entscheidung der Kommission die in China stark engagierte deutsche Autoindustrie einseitig belastet.

Dem Machtwort des Kanzlers war am Mittwoch eine kontroverse Diskussion im Kabinett vorausgegangen. Wie die Süddeutsche Zeitung erfahren hat, hatte sich Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) für eine harte Haltung gegenüber Peking eingesetzt, während sich Kanzler Scholz und Finanzminister Christian Lindner (FDP) gegen die Strafzölle aussprachen. Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plädierte für Enthaltung – eine Position, der sich Baerbock schließlich angeschlossen haben soll. „Unsere Reaktion als EU darf nicht dazu führen, dass wir uns selbst schädigen“, sagte Scholz nach der Kabinettsitzung bei einer Veranstaltung des Außenhandelsverbands BGA. Deswegen solle man lieber „dort anpacken, wo chinesische Billigimporte unserer Wirtschaft tatsächlich schaden, beispielsweise beim Stahl“.

Besonders brüskiert dürfte Habeck durch die Entscheidung des Kanzlers sein. Formal ist er als Wirtschaftsminister für Handelsfragen zuständig. Die Position der EU-Kommission sei „glaubwürdig“, hatte Habeck vorige Woche noch nach einem Treffen mit der Autoindustrie bekräftigt. Zugleich hatte er betont, er sei „kein Fan von Zöllen“. Zu befürchten sei eine Zollspirale und letztlich ein Handelskrieg. Besser sei eine politische Lösung. Im Juni war Habeck deshalb unter anderem selber in Peking; erst Mitte September traf er Chinas Handelsminister Wang Wentao in Berlin.

Entsprechend verärgert reagierte Habeck auf die Entscheidung des Kanzlers. Inzwischen verhandelten die Chinesen „erstmals ernsthaft“. Dazu sei es nur gekommen, „weil China merkt, dass die EU entschlossen ist und auch geschlossen“. Anders gewendet: Das deutsche Nein, erzwungen durch ein Machtwort aus dem Kanzleramt, schwäche die Verhandlungsposition der Europäer. „Deshalb hätte ich anders entschieden“, sagt Habeck nun. „China versteht klare Sprache und Ansagen sehr gut. Schwäche weiß es zu nutzen“, betonte er.

An der Zollfrage bricht nun ein grundsätzlicher Dissens über den richtigen Umgang mit dem machtbewussten China wieder auf, der die Ampelkoalition seit Beginn begleitet. Angeführt von Außenministerin Baerbock plädieren die Grünen auch als Lehre aus den Fehlern im Umgang mit Russland für eine selbstbewusste Linie gegenüber Peking. Im vergangenen Jahr hatte Baerbock Aufsehen erregt, als sie Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping in einem Interview mit dem US-Sender Fox News einen „Diktator“ nannte.

Am Freitag wurde der Streit nach SZ-Informationen auch zum Thema einer Führungsschalte aus Partei- und Fraktionsführung sowie den grünen Ministern Habeck und Baerbock. Man habe die unterschiedlichen Standpunkte diskutiert, hieß es danach. „Wir dürfen uns in Europa doch nicht von China spalten lassen“, empörte sich die Co-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann auch öffentlich. Wieder einmal stelle sich Deutschland mit dem „Nein“ des Kanzlers gegen Strafzölle auf „unfair subventionierte Elektroautos aus China“ gegen die EU-Kommission. Scholz’ Entscheidung sei „industrie- und geopolitisch falsch“, kritisierte auch die scheidende Grünen-Chefin Ricarda Lang über den Kurznachrichtendienst X.

Zuletzt hatte auch der Verfassungsschutz erstmals eindringlich davor gewarnt, dass China in den Augen des Inlandsgeheimdienstes mehr Gefahr als Chance für die deutsche Wirtschaft sei. China verfolge aggressiv mit legitimen, aber auch illegalen Mitteln das Ziel, bis 2049 wichtigste wirtschaftliche, wissenschaftliche und militärische Macht der Erde zu werden, warnte Verfassungsschutz-Vizechef Sinan Selen. Das Misstrauen gegenüber China und die Sorge vor Sabotage und Spionage war in der Regierung zuletzt so groß, dass sie im Juli beschloss, zentrale Bauteile des chinesischen Telekomausrüsters Huawei sollten bis spätestens 2029 aus wichtigen Teilen des deutschen Mobilfunknetzes verschwunden sein.

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