28.10.2024
US Medienlandschaft im Zwiespalt Wahlempfehlung und Pressefreiheit

Amerikas linksliberale Presse steht vor der Zerreißprobe. Kurz vor der Präsidentschaftswahl sieht sich die US-Medienlandschaft mit einem Dilemma konfrontiert, das die Grundfesten der Pressefreiheit in Frage stellt. Wie die FAZ berichtet, haben sowohl die renommierte „Los Angeles Times“ als auch die einflussreiche „Washington Post“ eine Wahlempfehlung für die anstehende Präsidentschaftswahl zurückgezogen. Beide Zeitungen, die traditionell eher dem linksliberalen Spektrum zugeordnet werden, hätten sich wohl für Kamala Harris ausgesprochen.

Diese Entscheidung, die von vielen Beobachtern als Einknicken vor einem möglichen Wahlsieg Donald Trumps gewertet wird, wirft ein Schlaglicht auf die tiefe Verunsicherung innerhalb der US-Medienlandschaft. Trump, der immer wieder mit Angriffen und Drohungen gegen Medienhäuser und Journalisten auffällt, scheint mit seiner Einschüchterungstaktik Erfolg zu haben.

Besonders brisant ist die Situation bei der „Washington Post“, die sich seit der Übernahme durch Amazon-Gründer Jeff Bezos im Jahr 2013 eigentlich als Bollwerk gegen Trumps Angriffe auf die Pressefreiheit verstand. Die Zeitung, die einst durch ihre Aufdeckung der Watergate-Affäre zum Rücktritt von Präsident Richard Nixon beitrug, scheint nun selbst vor den Konsequenzen eines kritischen Journalismus zurückzuschrecken.

Die Entscheidung, keine Wahlempfehlung auszusprechen, sei laut „Post“- Herausgeber Will Lewis eine Rückkehr zu den Grundwerten des Blattes, darunter „Charakter und Courage, Ehrfurcht vor dem Rechtsstaatsprinzip und Respekt für menschliche Freiheit“. Doch diese Begründung wirkt fadenscheinig, insbesondere angesichts des Timings.

Marty Baron, der die „Post“ während Trumps erster Amtszeit als Chefredakteur leitete, kritisiert die Entscheidung scharf. In einem CNN-Interview bezeichnete er das Vorgehen als „verstörende Rückgratlosigkeit“ und warnte davor, dass Trump dies als Ermutigung für weitere Einschüchterungsversuche werten könnte. Baron vermutet, dass Bezos um seine wirtschaftlichen Interessen fürchtet, insbesondere im Hinblick auf Amazon und sein Weltraumunternehmen Blue Origin, das milliardenschwere Verträge mit der US-Regierung abgeschlossen hat.

Auch die legendären „Post“-Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein, die durch ihre Enthüllungen im Watergate-Skandal Geschichte schrieben, zeigen sich „überrascht und enttäuscht“ von der Entscheidung ihres ehemaligen Arbeitgebers. Sie betonen die Gefahr, die von einer zweiten Amtszeit Trumps für die amerikanische Demokratie ausgehe. Robert Kagan, der seit 25 Jahren für die „Post“ schreibt, kündigte aus Protest gegen die Entscheidung.

Besonders bitter ist die Entscheidung der „Washington Post“ vor dem Hintergrund, dass die Zeitung kurz nach Trumps Amtsantritt 2017 den Slogan „Democracy Dies in Darkness“ auf ihrer Titelseite platzierte. Susan Rice, die ehemalige US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, kommentierte die Entscheidung mit beißendem Spott: „So viel zu ,Democracy Dies in Darkness‘. Dies ist der scheinheiligste und feigste Akt einer Publikation, die eigentlich Leute an der Macht zur Verantwortung ziehen soll.“

Doch nicht nur die „Washington Post“ und die „Los Angeles Times“ sorgen für Aufsehen. Auch das linksliberale Magazin „The Nation“ geriet in die Schlagzeilen, weil es seinen Praktikanten erlaubte, die Wahlempfehlung der Redaktion für Kamala Harris öffentlich zu kritisieren. Die Praktikanten warfen Harris vor, die „genozidale“ Politik Israels im Gazastreifen zu unterstützen.

Die Tatsache, dass sich führende US-Zeitungen in einem so wichtigen Wahlkampf nicht klar zu einem Kandidaten bekennen wollen, ist ein alarmierendes Zeichen für den Zustand der amerikanischen Demokratie. Gerade angesichts der Tatsache, dass Trump immer wieder mit Angriffen auf Andersdenkende und mit der Beschneidung demokratischer Grundrechte auffällt, wäre ein klares Bekenntnis der Medien zur Demokratie wichtiger denn je.

Doch die Angst vor Repressalien und wirtschaftlichen Nachteilen scheint größer zu sein als die Bereitschaft, für die freie Meinungsäußerung und die demokratischen Grundwerte einzustehen. Die Entscheidung der „Washington Post“ und der „Los Angeles Times“ ist daher nicht nur eine Niederlage für die beiden Zeitungen, sondern ein bedenklicher Rückschritt für die gesamte US-amerikanische Medienlandschaft.

Quelle: F.A.Z.

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