Das Neutralitätsgebot und der Verfassungsschutz im Kontext der AfD
Die Veröffentlichung eines neuen Gutachtens des Verfassungsschutzes zur AfD, ursprünglich noch für dieses Jahr angekündigt, wird nun auf die Zeit nach der vorgezogenen Bundestagswahl verschoben. Wie die FAZ berichtet, hatte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang im Oktober noch eine Entscheidung "noch in diesem Jahr" in Aussicht gestellt. Diese Verzögerung wirft Fragen nach dem Neutralitätsgebot und dessen Auswirkungen auf die Arbeit des Verfassungsschutzes auf.
Die Verschiebung wird mit der Notwendigkeit zur Wahrung der Chancengleichheit der Parteien begründet. Wie die Tagesschau berichtet, besteht die Befürchtung, dass eine Veröffentlichung des Gutachtens so kurz vor der Wahl den Wahlausgang beeinflussen könnte. Felor Badenberg (CDU), ehemalige Vizepräsidentin des Bundesverfassungsschutzes, erklärte gegenüber der Tagesschau, Staatsorgane müssten "unmittelbar vor Wahlen alles unterlassen, was in irgendeiner Art und Weise geeignet ist, Einfluss auf die politische Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger zu nehmen".
Staatsrechtler sind sich uneinig über die Notwendigkeit der Verschiebung. Während Ulrich Battis gegenüber der dpa die zeitnahe Veröffentlichung des Gutachtens fordert, hält Alexander Thiele eine Verschiebung um einige Monate für zulässig, wie LTO berichtet. Thiele räumt zwar ein, dass es "aus rechtlicher Sicht kein Gebot" zur Zurückhaltung gebe, verweist aber auf die potenziellen Auswirkungen einer Veröffentlichung auf den Wahlausgang.
Die Grünen kritisieren die Verzögerung. Till Steffen, rechtspolitischer Sprecher der Grünen, bezeichnet die Begründung mit der Neutralitätspflicht gegenüber der FAZ als "absurd". Er betont die Pflicht des Verfassungsschutzes, seine Aufgaben "nach Recht und Gesetz zu erfüllen ohne Rücksicht auf wahltaktische Überlegungen". Auch die Amadeu Antonio Stiftung argumentiert, dass Demokratiearbeit nicht neutral sein könne, da sie den Verfassungswerten verpflichtet sei.
Die Situation wird zusätzlich durch den überraschenden Rücktritt Haldenwangs und seine Kandidatur für die CDU verkompliziert, wie LTO und die Süddeutsche Zeitung berichten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird derzeit von seinen beiden Vizepräsidenten geführt. Die Nachfolge Haldenwangs ist noch ungeklärt.
Unabhängig von der Verschiebung des Gutachtens haben Abgeordnete um den CDU-Politiker Marco Wanderwitz einen Antrag auf ein AfD-Verbotsverfahren eingebracht, wie unter anderem das ZDF und LTO berichten. Ob der Bundestag noch vor der Neuwahl darüber abstimmen wird, ist offen.
Quellen:
- Frankfurter Allgemeine Zeitung: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/afd-gutachten-gilt-das-neutralitaetsgebot-auch-fuer-den-verfassungsschutz-110119126.html
- Legal Tribune Online: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/vorgezogene-neuwahl-afd-gutachten-verfassungsschutz-haldenwang-battis
- Legal Tribune Online: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/afd-verbot-haldenwang-verfassungsschutz-hochstufung-parteiverbot-antrag-bundestag
- Tagesschau: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/afd-verfassungsschutz-neuwahl-100.html
- Amadeu Antonio Stiftung: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/zivilgesellschaft-unter-druck-neutralitaetsgebot-herausforderung-fuer-die-demokratie-119753/
- Bundesrechtsanwaltskammer: https://www.brak.de/recht-interessant/kurz-knackig-der-anwalt-der-bundestag-und-das-afd-gutachten/
- Süddeutsche Zeitung: https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/politik/haldenwang-afd-verfassungsschutz-rechtsextremismus-e138781/?reduced=true