24.10.2024
Von der Kooperation zum Konflikt Erdogans Weg und der Einfluss Gülens

Erdoğan und Gülen: Ein Bündnis und ein erbitterter Machtkampf

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hält sich nun schon seit 22 Jahren an der Spitze des Landes. Zu den erfolgreichsten Strategien seiner Politik gehören die Instrumentalisierung der Außenpolitik für innenpolitische Zwecke und das geschickte Ausspielen der Großmächte gegeneinander. So gelingt es ihm immer wieder, Krisen in Chancen für sich und seine Politik zu verwandeln. Erdoğan ist sich der Abhängigkeit des Westens bewusst, der aufgrund von Krisen wie Fluchtbewegungen oder dem Ukraine-Krieg auf die Kooperation mit der Türkei angewiesen ist. Dies zeigt sich beispielsweise beim Treffen mit Bundeskanzler Scholz in Istanbul, bei dem Erdoğan die Früchte seiner Strategie ernten konnte. Deutschland räumte seine Vorbehalte gegen die Lieferung von Eurofightern und andere Rüstungsgeschäfte aus, die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU wurden wieder auf die Agenda gesetzt und Kritik am Vorgehen des türkischen Präsidenten, der die Demokratie mit Füßen tritt, blieb aus.

Eine weitere Taktik Erdoğans ist seine Fähigkeit, schnell wechselnde Bündnisse zu schmieden und diese ebenso schnell wieder aufzukündigen. Gestern noch Freund, kann jemand heute schon zum Feind erklärt werden. Dies zeigt sich besonders deutlich in der Beziehung zu Fethullah Gülen, dem Anführer einer islamistischen Bewegung. Mit ihm verband Erdoğan jahrelang ein enges Bündnis, an dessen Ende Gülen zum Verräter erklärt wurde. Nun verstarb Gülen im Alter von 83 Jahren in den USA.

Der Aufstieg Gülens und der Einfluss der Bewegung

Seinen Anfang nahm Gülens Weg in den 1960er Jahren als staatlich besoldeter Prediger der Nurculuk-Bewegung. Mit seinen Predigten in Anatolien baute er sich eine Anhängerschaft auf und gewann zunehmend an Bedeutung innerhalb der Bewegung. Mit finanzieller Unterstützung seiner Anhänger begann er, in Bildungseinrichtungen zu investieren. Er gründete private Nachhilfeinstitute, Schulen und Wohnheime, die mittellose, aber begabte junge Menschen anzogen.

Mit dem Wachsen seiner Gemeinde verstärkte sich auch die Nähe Gülens zur Politik. Im Gegenzug für Vorteile für seine Anhänger unterstützte er Mitte-rechts-Parteien mit Wählern. Durch seine guten Verbindungen gelang es ihm, die Absolventen seiner Bildungseinrichtungen in staatlichen Einrichtungen unterzubringen. Die Skepsis gegenüber den islamistischen Kadern, die mit den Grundsätzen der Republik haderten, wuchs.

1999, drei Jahre vor Erdoğans Amtsantritt, tauchte ein Video auf, das die Türkei in Aufruhr versetzte. Gülen sprach darin davon, die oberen staatlichen Organe zu erreichen und betonte den Ausbau der Kader in Justiz und Verwaltung. Jeder Schritt sei verfrüht, solange man nicht alle Organe in der Hand habe, so Gülen. Die Angst, dass Gülen nicht nur religiöser Führer, sondern nach der Macht strebte, war real. Das Video besiegelte sein Ende in der Türkei. Gegen ihn wurden Ermittlungen aufgenommen, Gülen reiste in die USA aus. Die Bewegung existierte jedoch weiter und gewann durch die Unterbringung von Gefolgsleuten in staatlichen Organen weiter an Einfluss.

Das Bündnis Erdoğan-Gülen

Mit dem Regierungsantritt Erdoğans und seiner AKP im Jahr 2002 begann für die Gülen-Bewegung eine neue Zeitrechnung. Erdoğan, der Probleme mit den Kadern des säkularen Systems hatte, arbeitete mit den Gülen-Anhängern in den staatlichen Einrichtungen zusammen. Im Gegenzug wuchs der Einfluss Gülens. Wenige Jahre später wurden die Ermittlungen gegen Gülen eingestellt, Erdoğan forderte ihn öffentlich auf, in die Türkei zurückzukehren. Gülen, der von seinem Anwesen in Pennsylvania aus seine Organisation lenkte, lehnte ab.

Gülen nutzte die Politik, um seinen Einfluss auf den Staat auszuweiten. Mit Erdoğan hatte er nun einen Partner an seiner Seite, mit dem er die Macht teilte. Mittels der in den staatlichen Institutionen platzierten Anhänger versuchte er, sowohl die politischen Gegner Erdoğans als auch die kemalistischen Kader in der Armee zu beseitigen. Mittels juristischer Manöver wurden diese ausgeschaltet und durch Gülen-Leute ersetzt. Das Bündnis hielt bis 2011. Als beide Seiten der Meinung waren, den jeweils anderen nicht mehr zu brauchen, zerbrach es.

Der Bruch und der Putschversuch

Erdoğan leitete die Schließung von Gülen-nahen Bildungseinrichtungen ein, die Gülen-Bewegung versuchte, den damaligen Geheimdienstchef Hakan Fidan verhaften zu lassen. Ihren Höhepunkt erreichten die Spannungen, als die Gülen-Bewegung 2013 eine gegen Erdoğan und dessen Familie gerichtete Antikorruptionsaktion startete. Telefonmitschnitte, in denen Erdoğan mit seinen Söhnen über Bestechungsgelder und Bargeld sprach, wurden veröffentlicht.

Gülen versuchte, Erdoğan mithilfe seiner Gefolgsleute in Justiz und Polizei zu stürzen. Erdoğan reagierte, indem er eine Säuberungswelle startete. Gülen-Anhänger in staatlichen Stellen wurden entfernt, an der Antikorruptionsaktion beteiligte Personen verhaftet. Um die Säuberung abzuschließen und seine Macht zu festigen, bedurfte es jedoch eines anderen Mittels. Die Gülen-Anhänger in der Armee mussten provoziert werden. Anfang 2016 wurden Listen veröffentlicht, die Informationen über Absetzungen und Verhaftungen bei der jährlichen Sitzung des Militärrats enthielten. Den Gülen-Anhängern in der Armee blieb nur die Flucht nach vorne: Am 15. Juli 2016 verübten sie einen Putschversuch.

Der Putschversuch scheiterte. Für Erdoğan war er jedoch ein willkommener Anlass, die Gülen-Bewegung vollständig zu zerschlagen und seine Macht weiter auszubauen. Bis heute ist umstritten, inwieweit die Bewegung tatsächlich hinter dem Putschversuch stand und ob Erdoğan diesen nicht zumindest billigend in Kauf nahm, um seine Macht zu festigen. Fest steht, dass sowohl Erdoğan als auch Gülen zu großen Teilen für die Zerrüttung des Landes verantwortlich sind. Die Demokratie und die Menschen in der Türkei sind die Leidtragenden dieses Machtkampfes.

Quellen:

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