In München hat einer der größten Prozesse der deutschen Wirtschaftsgeschichte begonnen: das Musterverfahren im Wirecard-Skandal. Wie die Zeit Online berichtet, haben tausende Anleger durch den Kauf von Wirecard-Aktien Geld verloren. Nun wird stellvertretend für 8.500 Schadensersatzklagen verhandelt.
Fast viereinhalb Jahre nach dem Zusammenbruch des ehemaligen DAX-Konzerns Wirecard im Juni 2020, hat das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) die Verhandlungen aufgenommen. Der Prozess findet in der Wappenhalle des ehemaligen Flughafens München-Riem statt, einem historischen Gebäude aus den 1930er Jahren, das für den Prozessauftakt Platz für bis zu 400 Personen bietet. Wie der Spiegel berichtet, sind rund 75 Anwaltskanzleien beteiligt, die die Interessen der geschädigten Anleger vertreten.
Insgesamt haben rund 50.000 ehemalige Wirecard-Aktionäre Forderungen in Höhe von 8,5 Milliarden Euro beim Insolvenzverwalter Michael Jaffé angemeldet. Davon haben 8.500 Anleger Klage eingereicht, weitere 19.000 haben Schadenersatzforderungen angemeldet, ohne Klage einzureichen. Als Musterkläger wurde ein hessischer Bankkaufmann ausgewählt, der laut seinem Anwalt Peter Mattil eine halbe Million Euro durch Wirecard-Aktien verloren hat.
Die Anleger klagen unter anderem gegen den ehemaligen Wirecard-Chef Markus Braun, die Insolvenzverwalter der Unternehmensreste und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY). EY hatte die mutmaßlich falschen Bilanzen von Wirecard über Jahre hinweg abgesegnet. Wie dpa-AFX berichtet, kritisierte die Vorsitzende Richterin Andrea Schmidt die „dürftige“ Qualität der vom Landgericht München I vorgelegten „Feststellungsziele“. Die Punkte seien zu allgemein formuliert und müssten konkretisiert werden, welche Informationen im Einzelnen falsch gewesen sein sollen.
Der Zahlungsdienstleister Wirecard war zusammengebrochen, weil 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf philippinischen Treuhandkonten lagen, nicht auffindbar waren. Das Geld ist bis heute verschwunden. EY wird vorgeworfen, die mutmaßlich falschen Bilanzen nicht ausreichend geprüft zu haben. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sieht jedoch keine Grundlage für Schadenersatzansprüche.
Das Musterverfahren soll die juristische Aufarbeitung beschleunigen. Es wird erwartet, dass der Prozess mehrere Jahre dauern wird. Parallel zum Zivilprozess läuft bereits seit zwei Jahren der Strafprozess gegen Ex-Vorstand Markus Braun, den Ex-Manager Oliver Bellenhaus und den ehemaligen Chefbuchhalter Stephan von E. Ihnen wird Bilanzfälschung, Marktmanipulation, Bandenbetrug und Untreue vorgeworfen. Das ZDF berichtet, dass die Stimmung der Aktionäre zwischen Wut, Resignation und der Hoffnung auf Aufklärung und Entschädigung schwankt.
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