Die Verhaltenswissenschaftlerin Francesca Gino hat ihre Klage gegen die Harvard Business School, ihren ehemaligen Arbeitgeber, weitgehend verloren. Wie die F.A.Z. berichtet, wird ihr Datenfälschung und Plagiat in großem Stil vorgeworfen. Sollten sich diese Anschuldigungen bestätigen, könnte es sich um einen der größten Wissenschaftsskandale in der Geschichte der USA handeln.
Ginos Karriere begann vielversprechend. Nach ihrem Studium und der Promotion in Italien wechselte sie an die Harvard Business School, wo sie sich einen Namen machte. Sie publizierte zahlreiche Arbeiten und präsentierte ihre Forschungsergebnisse auf Konferenzen und in Vorträgen. Der Stein des Anstoßes kam 2020 ins Rollen, als die französische Doktorandin Zoé Ziani eher zufällig auf Ungereimtheiten in Ginos Daten stieß und diese dem Online-Portal „Data Colada“ meldete. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, klagte Gino daraufhin gegen die Harvard University und die drei Blogger von „Data Colada“ und forderte 25 Millionen US-Dollar Schadensersatz wegen Rufschädigung.
Drei Wissenschaftler überprüften die Vorwürfe von Ziani und leiteten ihre Erkenntnisse an Harvard weiter. Dort wurde eine erneute Untersuchung eingeleitet, die weitere Hinweise auf Betrug zutage förderte. Das Ergebnis war ein 1288 Seiten umfassender Bericht, der der F.A.Z. in anonymisierter Form vorliegt. Er enthält neben den Prüfungsergebnissen auch transkribierte Befragungen und E-Mails. Gino musste zuvor fünf ihrer Arbeitscomputer an die Universität zurückgeben.
Ginos Verteidigungsstrategie im Verfahren bestand darin, die Schuld auf eine andere Person zu schieben und zu behaupten, jemand anderes müsse die Daten manipuliert haben. Die Prüfungskommission hielt diese Erklärung jedoch für unplausibel. Im Juni 2023 wurde Gino für zwei Jahre unbezahlt von ihrer Position freigestellt und ihr der Zutritt zum Campus untersagt. Die Klage gegen „Data Colada“ scheiterte vollständig, und auch die Klage gegen Harvard und den Dekan wurde in weiten Teilen abgewiesen. Über einen Vorwurf ist aus formalen Gründen noch nicht entschieden worden.
Wie die F.A.Z. weiter berichtet, äußerte sich Gino zuletzt im März zu den Vorwürfen und bestritt jegliches Fehlverhalten. Auf LinkedIn postet sie inzwischen wieder Beiträge zu fachlichen Themen ihres Forschungsgebiets. Joseph Simmons, einer der „Data Colada“-Aktivisten, kommentierte die Gerichtsentscheidung auf der Plattform X. Die NZZ beschreibt den Fall als tiefen Sturz einer Wissenschaftlerin, die mit ihrer Forschung über Ehrlichkeit Millionen verdiente. Der stern berichtet ebenfalls über die Vorwürfe gegen Gino und die Suspendierung von ihrem Dienst an der Harvard University. Ein Gastkommentar in der NZZ von Mathias Binswanger thematisiert die Anfälligkeit der Verhaltenswissenschaften für Betrug und nicht reproduzierbare Experimente.
Die Plagiatsexpertin Debora Weber-Wulff von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin gab der F.A.Z. zu bedenken, dass sich die Harvard Business School die Frage stellen müsse, wie Plagiate und Datenfälschungen in ihren Forschungsgruppen entstehen konnten, ohne intern entdeckt zu werden.