24.11.2024
Deutschsein Heute Zerrissenes WirGefühl

Das deutsche Wir-Gefühl: Ein historischer Rückblick und die Herausforderungen der Gegenwart

Die Frage nach einem gemeinsamen deutschen Wir-Gefühl ist komplex und vielschichtig. Wie die Kolumne „So isst Politik“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 24. November 2024 anmerkt, scheinen die Deutschen inmitten der aktuellen Krisen das verbindende Element verloren zu haben. Die Deutsche Nationalstiftung sucht nach Wegen, dieses Wir-Gefühl wieder zu stärken. Doch gab es überhaupt jemals ein einheitliches, belastbares deutsches Wir-Gefühl? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die nationale Identität Deutschlands immer wieder von Brüchen und Umbrüchen geprägt war.

Ein prägnantes Beispiel dafür ist die Zeit nach dem Mauerbau, wie ein Interview mit Günter Grass im Spiegel vom 19. November 1989 verdeutlicht. Grass beschreibt die deutsche Wiedervereinigung als eine Revolution, die unblutig und mit klarem Kopf vonstattenging. Gleichzeitig äußert er Sorgen über die Fähigkeit der DDR, die offene Grenze zu verkraften, und warnt vor einem Wiedervereinigungsgeschrei in der Bundesrepublik. Er plädiert für eine Konföderation der beiden deutschen Staaten, eine Idee, die in der Geschichte Deutschlands immer wieder auftauchte, aber nie verwirklicht wurde.

Die Diskussion um die deutsche Einheit war auch in der Vergangenheit von unterschiedlichen Vorstellungen geprägt. Grass kritisiert die binäre Denkweise, die entweder den Status quo oder die Wiedervereinigung fordert, und sieht in einer Konföderation eine Möglichkeit, dem deutschen Bedürfnis nach Einheit gerecht zu werden, ohne die Nachbarn zu verunsichern. Er betont die Stärken des föderalen Systems der Bundesrepublik und wünscht sich eine Wiederbelebung der alten Länderstrukturen in der DDR.

Auch die Frage nach den Werten, die ein deutsches Wir-Gefühl ausmachen, ist nicht eindeutig zu beantworten. Grass sieht in der DDR ein langsameres Lebenstempo und mehr Zeit für Gespräche als positive Aspekte, die in der Bundesrepublik fehlen. Ob diese kulturellen Unterschiede jedoch ein Fundament für ein gemeinsames Wir-Gefühl bilden können, bleibt offen. Die wirtschaftlichen Disparitäten zwischen den beiden deutschen Staaten stellen eine weitere Herausforderung dar.

Die aktuelle Diskussion auf der Plattform gutefrage.net zeigt, dass die deutsche Politik von Meinungsverschiedenheiten und einem Dissens-Zustand geprägt ist. Ein Nutzer argumentiert, dass Parteien die Interessen unterschiedlicher Zielgruppen widerspiegeln und die Differenzen zwischen den Parteien somit die gleichen sind wie zwischen den Menschen. Ein anderer Nutzer verweist auf Studien, die einen mehrheitlichen Konsens in vielen kontroversen Bereichen feststellen, und kritisiert die Dominanz lauter und meinungsstarker Stimmen im medialen Diskurs.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Suche nach einem deutschen Wir-Gefühl eine fortwährende Herausforderung bleibt. Historische Brüche, unterschiedliche politische und wirtschaftliche Systeme sowie die Vielfalt der Meinungen in der Gesellschaft erschweren die Bildung einer einheitlichen nationalen Identität. Die aktuelle Situation, wie sie in der FAZ-Kolumne beschrieben wird, verdeutlicht die Notwendigkeit, neue Wege zu finden, um ein gemeinsames Verständnis von „Wir“ zu entwickeln.

Quellen:

- Frankfurter Allgemeine Zeitung: https://www.faz.net/aktuell/stil/essen-trinken/die-kolumne-so-isst-politik-ueber-die-lage-der-nation-110128166.html - Der Spiegel: https://www.spiegel.de/politik/viel-gefuehl-wenig-bewusstsein-a-0b80e76a-0002-0001-0000-000013507107 - gutefrage.net: https://www.gutefrage.net/frage/ist-die-deutsche-politik-ein-spiegelbild-der-gesellschaft---hohe-meinungsverschiedenheit-dissens-zustand-gespaltene-gesellschaft-fehlender-zusammenhalt
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