19.10.2024
Gespräch über Sicherheit und Zusammenhalt in der jüdischen Gemeinschaft Deutschlands

Interview mit Charlotte Knobloch: „Es ärgert mich furchtbar, unter welchen Umständen wir heutzutage leben müssen“

Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, äußert sich in einem aktuellen Interview besorgt über die gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland und die Sicherheit der jüdischen Gemeinde. Der Schock über den Anschlag auf das NS-Dokuzentrum und das israelische Generalkonsulat in München am 5. September 2024 hat die jüdische Gemeinschaft in der Stadt stark getroffen. Knobloch, die den Holocaust überlebt hat, beschreibt die gegenwärtige Situation als alarmierend und warnt vor einer zunehmenden Bedrohung.

„Genauso wie Hitler damals nicht vom Himmel gefallen ist, kommen diese Terror-Aktionen nicht aus dem Nichts“, betont Knobloch. Sie berichtet, dass viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde das Gefühl haben, ihre Heimat verloren zu haben. Dieses Gefühl der Unsicherheit hat sich in den letzten Jahren verstärkt, insbesondere nach dem Überfall der radikal-islamischen Hamas auf Israel im Oktober 2023. Knobloch erklärt, dass viele Gemeindemitglieder, insbesondere Zuwanderer, nun an ihrer Entscheidung, nach Deutschland zu kommen, zweifeln. „Sie dachten, dass sie im freien Deutschland geschützt sind. Jetzt sehen sie, dass es gefährlich anders sein kann“, sagt sie.

Der Anschlag in München hat erneut die Ängste der jüdischen Gemeinschaft sichtbar gemacht. Knobloch berichtet von persönlichen Erfahrungen, die die Bedrohung verdeutlichen. Nach dem Hamas-Überfall holte sie ihre Enkelin und deren Kinder nach München, da diese den Sirenenalarm in Israel nicht ertragen konnten. Nach drei Wochen kehrte die Familie jedoch verstört nach Israel zurück, da sie sich dort sicherer fühlten als in Deutschland. „Das Sicherheitsgefühl der jüdischen Menschen insgesamt hat stark abgenommen“, so Knobloch.

Ein Vorfall in der Münchner U-Bahn verdeutlicht die angespannte Lage: Als ihre Enkelkinder Hebräisch sprachen, wurden sie von anderen Fahrgästen mit bösen Blicken bedacht, was bei der Familie ein Gefühl der Bedrohung auslöste. „Ich war sehr unglücklich darüber“, sagt Knobloch. Diese Erlebnisse tragen zur allgemeinen Angst innerhalb der jüdischen Gemeinschaft bei, die sich zunehmend unsicher fühlt.

Knobloch fordert eine differenzierte Betrachtung der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen. Sie warnt davor, die muslimische Gemeinschaft pauschal zu verurteilen und betont die Wichtigkeit des Dialogs und der Verständigung. „Wir müssen uns gegen Antisemitismus und jede Form von Hass stellen“, erklärt sie. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde sieht es als ihre Aufgabe an, für Toleranz und ein friedliches Zusammenleben zu kämpfen.

In Anbetracht der jüngsten Ereignisse appelliert Knobloch an die Gesellschaft, sich aktiv gegen Extremismus und Vorurteile einzusetzen. „Es ärgert mich furchtbar, unter welchen Umständen wir heutzutage leben müssen. Nicht nur wir als jüdische Gemeinschaft, sondern als Gesellschaft insgesamt“, sagt sie. Die Erfahrungen der Vergangenheit sollten als Mahnung dienen, um eine Wiederholung der Geschichte zu verhindern.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die jüdische Gemeinschaft in München vor großen Herausforderungen steht. Der Anschlag hat nicht nur die Sicherheitsbedenken verstärkt, sondern auch das Gefühl der Zugehörigkeit und des Schutzes in Frage gestellt. Charlotte Knobloch fordert ein Umdenken in der Gesellschaft und einen gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus und Extremismus. Die Zukunft des jüdischen Lebens in Deutschland hängt von der Fähigkeit ab, Toleranz und Verständnis zu fördern und sich gegen jede Form von Hass zu wehren.

Quellen: Süddeutsche Zeitung, dpa, AFP

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