19.10.2024
Vergessene Vertreibung: Das Schicksal der Juden aus arabischen Ländern und Iran
Als im Jahr 1948 der Staat Israel gegründet wurde, war dies der Höhepunkt eines langen Prozesses der jüdischen Selbstbestimmung. Gleichzeitig bedeutete dies für viele Juden in arabischen Ländern und dem Iran den Beginn einer Leidenszeit, die in der kollektiven Erinnerung oft verblasst ist. Diese Epoche der Geschichte, die rund 850.000 Juden aus den arabischen Ländern und dem Iran betraf, wird als die jüdische 'Nakba' – eine Katastrophe, die in ihrer Dimension der palästinensischen 'Nakba' entspricht, jedoch weit weniger Beachtung findet – bezeichnet. Die jüdischen Gemeinden in den arabischen Ländern und dem Iran blickten auf eine lange, teils jahrtausendealte Geschichte zurück. Sie waren fester Bestandteil der sozialen und wirtschaftlichen Strukturen dieser Gesellschaften. Doch in der Zeit nach der Gründung Israels änderte sich ihre Lage dramatisch. Sowohl vor als auch nach der Staatsgründung kam es zu Pogromen, Enteignungen und dem Zwang zur Flucht. In Staaten wie Irak, Ägypten, Libyen, Jemen, Syrien, Marokko und anderen wurden die jüdischen Bürger zu Fremden im eigenen Land, wobei die Ursachen sowohl in der steigenden arabisch-nationalistischen Bewegung als auch in der traditionellen islamischen Sicht auf Juden als "Schutzbefohlene" (Dhimmis) lagen, die in Zeiten politischer Spannungen zu Sündenböcken wurden. Die Ereignisse waren vielfältig und unterschiedlich in ihrer Intensität und Auswirkung. Im Irak, zum Beispiel, kam es 1941 zu einem Pogrom, bekannt als der Farhud, bei dem Hunderte von Juden ermordet wurden. In anderen Ländern wie Marokko und dem Jemen war die jüdische Bevölkerung zwar nicht derartigen Massakern ausgesetzt, litt jedoch unter zunehmender Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung. Die Enteignungen und der Verlust von Eigentum, die viele jüdische Flüchtlinge hinnehmen mussten, waren enorm und sind bis heute ein ungelöstes Kapitel in den internationalen Beziehungen. Der Exodus führte dazu, dass praktisch keine jüdischen Gemeinden in diesen Regionen mehr existieren, was einen unwiederbringlichen Verlust für das kulturelle und religiöse Erbe der Region darstellt. Die meisten der geflohenen Juden fanden in Israel eine neue Heimat. Dort wurden sie Teil der Gesellschaft, die jedoch anfangs mit großen Herausforderungen zu kämpfen hatte. Die Integration der Flüchtlinge stellte Israel vor enorme soziale und ökonomische Probleme, da die meisten von ihnen in Zeltstädten und später in Übergangsunterkünften untergebracht werden mussten. Trotz dieser Schwierigkeiten gelang es Israel, die Einwanderer aus den arabischen Ländern zu integrieren und ihnen zu einem neuen Leben zu verhelfen. Die internationale Gemeinschaft und insbesondere die Vereinten Nationen haben im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Resolutionen zum Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge verabschiedet, während die Thematik der jüdischen Flüchtlinge aus den arabischen Ländern und dem Iran kaum Beachtung fand. Es besteht daher ein auffälliges Ungleichgewicht in der Wahrnehmung und Anerkennung der Leiden dieser beiden Flüchtlingsgruppen. Dieses Kapitel der Geschichte wird mittlerweile durch Publikationen wie jene von Mena-Watch und die Arbeit von Historikern wie Raimund Fastenbauer aufgearbeitet. Fastenbauer zeichnet in seiner aktuellen Publikation "Vergessene Tragödie: Die jüdische 'Nakba'. Die Vertreibung der Juden aus den arabischen Ländern und dem Iran" ein umfassendes Bild dieser historischen Ereignisse und beleuchtet die vielfältigen Schicksale der betroffenen Juden. Er betont die Notwendigkeit, diese Tragödie als einen integralen Teil der Geschichte des Nahen Ostens zu verstehen und die unterschiedliche Behandlung der Fluchtgeschichten von Arabern und Juden durch die internationale Gemeinschaft zu hinterfragen. Die Aufarbeitung der Geschichte der jüdischen 'Nakba' ist nicht nur für die historische Gerechtigkeit von Bedeutung, sondern könnte auch einen Beitrag zu einer umfassenderen Verständigung im Nahostkonflikt leisten. Eine objektive Auseinandersetzung mit den antisemitischen Traditionen und den Flucht- und Vertreibungsgeschichten der Juden aus den arabischen Ländern könnte Wege zu einem besseren Verständnis und möglicherweise zu einer Annäherung zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn ebnen.
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