September 28, 2024
Kunst im Spannungsfeld: Der Steirische Herbst zwischen Tradition und Wandel

Wo die blaue Stunde dämmert: Der Steirische Herbst im Schatten des Rechtsrucks

Graz, die malerische Hauptstadt der Steiermark, ist im Wahlkampfmodus. Die Straßen sind gesäumt von den bunten Plakaten der Parteien, die um die Gunst der Wähler buhlen. Doch in diesem Jahr liegt ein Schatten über dem sonst so fröhlichen Treiben: die Angst vor einem Rechtsruck bei den anstehenden Nationalratswahlen.

Mitten in diesem aufgeheizten Klima startet das Kunstfestival Steirischer Herbst. Seit seiner Gründung im Jahr 1968 versteht sich das Festival als Gegenpol zu konservativen Kulturströmungen. In diesem Jahr lautet das Motto "Horror Patriae" – ein provokanter Titel, der die österreichische Seele im Angesicht des drohenden politischen Wandels widerspiegeln soll.

Schon vor der offiziellen Eröffnung sorgt das Festival für Aufsehen. Der Künstler Yoshinori Niwa, beauftragt von der Intendantin Ekaterina Degot, installierte ein satirisches Wahlplakat, das die FPÖ auf die Schippe nimmt. Der Slogan "Jedem das Unsere", platziert vor einem Alpenpanorama und flankiert von klischeehaften Österreichern, sorgte für Empörung in den Reihen der FPÖ, die eine Kürzung der Fördergelder für das Festival forderte. Die Polizei sah sich gezwungen, das Plakat abzudecken. Wie die F.A.Z. berichtet, spielte der Slogan auf die Inschrift des Konzentrationslagers Buchenwald an.

Die Provokation ist Teil des Konzepts. Mit "Horror Patriae" will Degot, selbst aus Russland stammend und scharfe Kritikerin des Putin-Regimes, die Schattenseiten der österreichischen Identität ausleuchten. Die Ausstellung in der Neuen Galerie, Teil des von Erzherzog Johann gegründeten Universalmuseums Joanneum, konfrontiert historische Artefakte mit zeitgenössischer Kunst.

In den dunklen Sälen des Museums begegnen dem Besucher die Geister der Vergangenheit: eine Kassette mit Napoleonporträt, ein Foto von Sigmund Freuds Söhnen in steirischer Tracht, ein Druck von Fernand Léger, der einst den Grazer Hauptbahnhof mit einer Wandmalerei verschönern sollte. Es sind Zeugnisse einer komplexen Geschichte, die von Größenwahn und Verdrängung geprägt ist.

Die zeitgenössischen Künstler greifen diese Themen auf und verarbeiten sie in ihren Werken. Jakub Jansa lässt comichafte Kürbiskreaturen in einer Art Talkshow auftreten, die von sich behaupten, traditionelle Gemüse zu sein. Jan Peter Hammer erzählt in seinem Film "Noreia" die Geschichte des steirischen Landesarchäologen, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine keltische Siedlung mit einer germanischen Schlacht aus vorchristlicher Zeit ideologisch verknüpfte. Alina Kleytman lässt auf einem Bildschirm eine riesige Zunge aus einem Schlund wachsen – ein Sinnbild für den Kampf gegen Kultur und Sprache, der im Ukraine-Krieg tobt.

Die Ausstellung ist eine kuratierte Reise durch die österreichische Seele, die von den Ideologien der Vergangenheit und den Ängsten der Gegenwart geprägt ist. Sie zeigt, wie fragil das Konstrukt "Heimat" ist und wie leicht es für politische Zwecke instrumentalisiert werden kann.

Doch der Steirische Herbst ist mehr als nur eine Ausstellung. Neben der bildenden Kunst bietet das Festival ein breites Programm aus Performances, Konzerten, Theater und Kabarett. Auch hier steht die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Themen im Vordergrund.

Das Musikfestival "ORF musikprotokoll" fragt nach den "Spaces of Freedom" in Zeiten zunehmender Einschränkungen. Das Festival "Out of Joint" widmet sich der Frage, was aus dem europäischen Friedensprojekt geworden ist. Und im herbstkabarett wird die österreichische Seele mit bissigem Humor und scharfer Zunge seziert.

Der Steirische Herbst 2024 ist ein Festival der Gegensätze: zwischen Tradition und Moderne, zwischen Lokalität und Internationalität, zwischen Unterhaltung und Provokation. Es ist ein Festival, das den Finger in die Wunde legt und zum Nachdenken anregt. Und es ist ein Festival, das Mut macht, sich den Herausforderungen der Gegenwart zu stellen und für eine offene und tolerante Gesellschaft einzutreten.

Quellen:

- F.A.Z.: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/so-politisch-war-der-steirische-herbst-noch-nie-110013625.html - taz.de: https://taz.de/Kunstfestival-Steirischer-Herbst-Graz/!6035738/ - steirischerherbst.at: https://www.steirischerherbst.at/de/steirischerherbst’24 - steirischerherbst.at: https://www.steirischerherbst.at/de/about/6/steirischer-herbst - steirischerherbst.at: https://www.steirischerherbst.at/de/info/13/tickets - steirischerherbst.at: https://www.steirischerherbst.at/de/program/events/6728/kunst-heimat-kunst-revisited
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