Das Landgericht Schweinfurt hat die Eltern eines 16-jährigen Mädchens, das an den Folgen von Magersucht verstorben ist, wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen, jedoch von einer Strafe abgesehen. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und andere Medien berichten, begründete das Gericht diesen ungewöhnlichen Schritt mit dem immensen Leid, das die Eltern durch den Tod ihrer Tochter bereits erfahren haben. Eine zusätzliche Bestrafung würde dem Gericht zufolge keinen weiteren Nutzen bringen. Das Mädchen war im Dezember 2022 an multiplem Organversagen infolge schwerer Unterernährung gestorben. Sie wog zum Todeszeitpunkt nur noch 19 Kilogramm.
Der Staatsanwaltschaft zufolge hatten die Eltern, eine 48-jährige Erzieherin und ein 51-jähriger technischer Angestellter, die lebensbedrohliche Situation ihrer Tochter nicht erkannt und trotz ihres schlechten Zustands keine ärztliche Hilfe gesucht. Neben der Magersucht litt das Mädchen unter einer Angststörung, hatte sich kurz vor ihrem Tod mit dem Coronavirus infiziert und an einer Magen-Darm-Infektion gelitten. Oberstaatsanwalt Markus Küstner hatte laut dpa zwei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung gefordert.
Die Eltern räumten zu Beginn des Prozesses ihre Verantwortung für den Tod ihrer Tochter ein. Sie erklärten, ihre Tochter habe aufgrund ihrer Angststörung eine Behandlung im Krankenhaus abgelehnt und sie selbst hätten das Ausmaß der Lebensgefahr nicht erfasst. Süddeutsche Zeitung und FAZ berichten übereinstimmend von tiefen Reuebekundungen und Schuldgefühlen der Eltern. Der Vater sagte laut FAZ: „Wir haben uns bis zuletzt nicht vorstellen können, dass Pauline stirbt. (...) Ich hätte dafür sorgen müssen, dass Pauline auch gegen ihren Willen in einem Krankenhaus behandelt wird.“ Die Mutter gab laut FAZ an, die Gefährlichkeit der Situation nicht erkannt und ihr damaliges Verhalten im Nachhinein völlig anders bewertet zu haben.
Das Gericht folgte der Argumentation der Verteidigung und wandte Paragraf 60 des Strafgesetzbuches an. Dieser ermöglicht es, von einer Strafe abzusehen, wenn die Tatfolgen für den Täter bereits so schwerwiegend sind, dass eine weitere Bestrafung als unangemessen erscheint. Der Bayerische Rundfunk (BR) zitiert einen Experten für Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Magersucht als ebenso tödliche Krankheit wie intravenösen Heroinkonsum einstuft und die Bedeutung frühzeitiger und umfassender Therapie hervorhebt.
Der tragische Fall wirft die Frage nach der elterlichen Verantwortung im Umgang mit psychischen Erkrankungen ihrer Kinder auf und verdeutlicht den Bedarf an besserer Aufklärung und Unterstützung für Familien, die mit Essstörungen konfrontiert sind. stern.de weist darauf hin, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.
Quellen:
- Frankfurter Allgemeine Zeitung: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/tochter-stirbt-an-folgen-von-magersucht-eltern-ohne-strafe-verurteilt-110136573.html
- stern.de: https://www.stern.de/news/magersuechtige-tochter-stirbt--eltern-wegen-fahrlaessiger-toetung-verurteilt-35260910.html
- Bayerischer Rundfunk: https://www.br.de/nachrichten/bayern/jugendliche-stirbt-an-magersucht-eltern-vor-gericht,UUlUR37
- Süddeutsche Zeitung: https://www.sueddeutsche.de/bayern/16-jaehrige-verhungert-prozess-eltern-angeklagt-schweinfurt-corona-pandemie-essstoerung-lux.2aBUmniBtPjk6L2FGkxvzY
- dpa
- ZDF: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/verhungert-16-jaehrige-zuhause-eltern-gericht-schweinfurt-100.html
- Stuttgarter Zeitung: https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.prozess-in-schweinfurt-abgemagertes-maedchen-stirbt-eltern-aeussern-schuldgefuehle.8502f077-64b7-4852-af57-6eb38b4a9017.html
- RTL: https://www.rtl.de/news/prozess-am-landgericht-schweinfurt-pauline-16-verhungert-staatsanwaltschaft-gibt-eltern-mitschuld-id1947236.html