Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat die Entscheidung des Landgerichts Hanau, das Hauptverfahren gegen einen 100-jährigen mutmaßlichen ehemaligen KZ-Wachmann nicht zu eröffnen, aufgehoben. Das Landgericht muss nun die Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten erneut überprüfen, wie die Zeit (zeit.de, 03.12.2024) berichtet. Das Landgericht hatte im Mai die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, weil ein Sachverständiger den Angeklagten für verhandlungsunfähig erklärt hatte. Das OLG Frankfurt zweifelt diese Einschätzung nun an und kritisiert Mängel in den Gutachten des Sachverständigen. Es fordert Nachermittlungen und betont, dass Gerichte die Aussagen von Sachverständigen kritisch prüfen und die Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Gutachten sicherstellen müssen.
Frankfurts Generalstaatsanwalt Torsten Kunze begrüßte die Entscheidung des Oberlandesgerichts. Sollte es zu einem Prozess kommen, könnte es sich laut Kunze um den letzten Prozess dieser Art handeln, was die historische Bedeutung des Verfahrens unterstreicht, wie die Süddeutsche Zeitung (sueddeutsche.de, 03.12.2024) berichtet. Die Staatsanwaltschaft Gießen hatte im vergangenen Jahr Anklage gegen den Mann erhoben, der als Heranwachsender Wachmann im KZ Sachsenhausen gewesen sein soll. Ihm wird Beihilfe zum Mord in mehr als 3300 Fällen vorgeworfen. Nils Lund, Pressesprecher der Generalstaatsanwaltschaft, erklärte gegenüber der Süddeutschen Zeitung, dass die Chance auf eine Verhandlung bestehe, aber nicht sicher sei. Aufgrund des hohen Alters des Beschuldigten sei bei der Prüfung der Verhandlungsfähigkeit Eile geboten.
Dem Beschuldigten aus dem Main-Kinzig-Kreis wird vorgeworfen, als Mitglied der SS-Wachmannschaften im KZ Sachsenhausen von Juli 1943 bis Februar 1945 die Tötung tausender Häftlinge unterstützt zu haben. Zu seinen Aufgaben gehörten unter anderem die Bewachung der Häftlinge, der Transport neu ankommender Häftlinge vom Bahnhof ins Lager und die Bewachung von Häftlingstransporten. Im KZ Sachsenhausen starben im fraglichen Zeitraum mindestens 3318 Häftlinge an den Folgen der dortigen Lebensbedingungen, durch Erschießungen oder durch Giftgas. Wie die Zeit berichtet, ging ein im Oktober 2023 erstelltes psychiatrisches Gutachten von einer eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit des Mannes aus. Ein weiteres Gutachten im Februar 2024 stellte eine Verschlechterung seines körperlichen und psychischen Zustands fest. Das Landgericht Hanau teilte mit, dass die vom OLG geforderten Nachermittlungen voraussichtlich mehrere Monate in Anspruch nehmen werden.
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