Die Frage nach der Annexion des Westjordanlandes durch Israel ist ein wiederkehrendes Thema, das durch die aktuelle politische Lage erneut an Brisanz gewinnt. Während die israelische Regierung offiziell die Position vertritt, dass der Status des Westjordanlandes Verhandlungssache sei, deuten aktuelle Entwicklungen auf eine andere Richtung hin. Wie die taz berichtet, erklärte Israels Finanzminister Bezalel Smotrich auf einer Konferenz in einem illegalen Außenposten im Westjordanland, er arbeite daran, die Kontrolle über das Gebiet zu festigen. Dabei sprach er von der Schaffung eines separaten zivilen Systems, das nach und nach Befugnisse vom Militär in die Hände ziviler Beamten legen soll (taz, 23.06.2024). Dies interpretiert die Friedensorganisation Peace Now als schleichende Annexion.
Ein Mitglied von Peace Now, das bei der Konferenz anwesend war, zitiert Smotrich mit den Worten: „Am Ende haben wir es so gemacht, dass es politisch und rechtlich leichter zu schlucken ist, damit man nicht sagt, dass wir eine Annexion vornehmen.“ Der legale Status des Landes sei nicht angetastet worden, um keinen internationalen Aufruhr zu verursachen (taz, 23.06.2024). Mauricio Lapchik von Peace Now erklärte gegenüber der taz, die Regierung wisse genau, welchen Preis sie international für eine offizielle Annexion zahlen würde. Deshalb werde es wohl nie eine offizielle Ankündigung geben. Die aufgezeichnete Konferenz komme einer solchen aber schon sehr nahe (taz, 23.06.2024).
Smotrichs Pläne sehen laut taz den Ausbau der Infrastruktur für Siedler und die Finanzierung von Siedlungen und Außenposten in Milliardenhöhe vor. Außerdem sollen Pläne zur effektiveren Verhinderung palästinensischen Wohnungsbaus dem Kabinett vorgelegt werden (taz, 23.06.2024). Menschenrechtsorganisationen betonen, dass diese Vorgehensweise gegen das Völkerrecht verstößt, da die besetzende Armee gemäß internationalem Besatzungsrecht das besetzte Gebiet verwalten und die Interessen der besetzten Bevölkerung vertreten muss.
Die Hoffnungen einiger israelischer Kreise auf eine zweite Amtszeit von Donald Trump, wie Christian Meier in der FAZ (13.11.2024) berichtet, spielen in diesem Kontext eine wichtige Rolle. Trumps Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels und der Golanhöhen-Annexion wird von manchen als Zeichen gewertet, dass er eine weitere Annexion des Westjordanlandes unterstützen könnte. Die Ernennung von Mike Huckabee zum Botschafter in Israel, der Trumps Politik in dieser Hinsicht ausdrücklich lobte, bestärkt diese Annahme. Huckabee verwies im israelischen Armeeradio auf Trumps Verdienste um die „Sicherung von Israels Souveränität“ und betonte, dass niemand mehr für Israel getan habe als Trump (FAZ, 13.11.2024).
Die Situation im Gazastreifen, die durch den Krieg weiter eskaliert, überschattet die Diskussion um die Annexion. Die humanitäre Lage ist desaströs, und trotz angekündigter Kampfpausen kommt die Hilfe laut Welternährungsprogramm nur schleppend voran (taz, 23.06.2024).
Die Frage, ob die Träume der Annexionisten in Israel nun wahr werden, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Die aktuelle politische Entwicklung deutet jedoch darauf hin, dass eine schleichende Annexion des Westjordanlandes, ohne offizielle Erklärung, voranschreitet. Die internationale Gemeinschaft beobachtet die Situation mit Sorge. Die Hoffnungen auf eine Unterstützung durch eine mögliche zweite Trump-Administration spielen dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle.