19.10.2024
Spahns Maskenaffäre: Kontroverse um Maskenbeschaffung

Spahns Maskenaffäre: Mondpreise trotz Warnung

Der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn hat in der Frühphase der Corona-Pandemie den Preis für Schutzmasken stark angehoben - gegen die Empfehlung seiner eigenen Fachabteilung. Das geht aus internen E-Mails des Ministeriums hervor. Im März 2020 schlug der zuständige Abteilungsleiter im Ministerium aus seiner Markt- und Fachkenntnis heraus 3 Euro netto je Maske vor. Das sei "ordentlich", schrieb er. Spahn entschied sich aber nur einen Tag später für 4,50 Euro je Stück, also für ein Plus von 50 Prozent. Bei 262 Millionen so eingekauften Masken musste der Steuerzahler in der Folge brutto fast 470 Millionen Euro mehr zahlen als ursprünglich vorgesehen.

Damals ging es um die Konditionen für das sogenannte Open-House-Verfahren. Für diesen am 27. März 2020 begonnenen "offenen" Beschaffungsweg konnte jeder Lieferant einen Vertrag zum Festpreis von 4,50 Euro je FFP2- oder KN95-Maske erhalten, und zwar in beliebiger Stückzahl. Voraussetzung war, dass der Händler die Ware keinen Tag später als bis zum Stichtag 30. April bereitstellen musste. Auf diese Weise wollte die Bundesregierung in der Notzeit ausreichende und berechenbare Mengen sicherstellen.

Allerdings lief das Verfahren mit viel zu vielen Zusagen und teilweise minderer Maskenqualität völlig aus dem Ruder. Deshalb sah sich das Ministerium gezwungen, die Frist zu verkürzen, Verträge zu kündigen und Rechnungen nicht zu bezahlen. Dagegen haben zahlreiche Lieferanten geklagt. Einige bekamen kürzlich vor dem Oberlandesgericht Köln recht, der Streitwert der noch anhängigen Verfahren beträgt 2,3 Milliarden Euro.

Der ehemalige Gesundheitsminister Spahn weist die Zweifel an der damaligen Beschaffungspraxis für Masken zurück. Medienberichten zufolge soll der Bundesgesundheitsminister im Lauf der ersten Corona-Welle 2020 geplant haben, offenbar minderwertige Masken im Wert von rund einer Milliarde Euro an Hartz-IV-Empfänger, Obdachlose und behinderte Menschen zu verteilen.

Kritik und Rücktrittsforderungen vom Koalitionspartner SPD und der Opposition ließen nicht lange auf sich warten. Und das alles kurz nach dem Skandal um Betrügereien in Corona-Testzentren. Was wird Spahn aktuell vorgeworfen? Und wie berechtigt sind die Vorwürfe, mit denen er seit Monaten zu kämpfen hat?

Einem "Spiegel"-Bericht zufolge soll Spahn im Mai 2020 trotz einiger Vorwarnungen Masken von verschiedenen Anbietern im Wert von rund einer Milliarde Euro bestellt haben. Die Europäische Kommission hatte dem Bericht zufolge ausdrücklich vor den bestellten Masken gewarnt und sie sogar teilweise aus dem Verkehr gezogen. Spahns Ministerium soll die Masken allerdings in einem extrem abgespeckten Schnellverfahren geprüft haben. Einige sollen gar nicht begutachtet worden sein.

Weil die bestellten Masken aber nach einem so kurzen Prüfverfahren regulär gar nicht verteilt werden durften, soll sich Spahn - so der Vorwurf - eine andere Strategie überlegt haben: Ebendiese Mund-und-Nasen-Bedeckungen sollten Obdachlosen, Hartz-IV-Empfängern und behinderten Menschen zur Verfügung gestellt werden. Weil das SPD-geführte Arbeitsministerium laut "Spiegel" die Verteilung stoppte, sitzt die Regierung nun auf Hunderten Millionen Masken fest.

Kritik kam vor allem vom Koalitionspartner SPD. Die beiden Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans forderten den Rücktritt Spahns. "Es ist unwürdig und menschenverachtend, wenn ein Gesundheitsminister Menschen in zwei Klassen einteilt, nämlich die mit Anspruch auf qualitätsgeprüfte Masken und die, für die absolut untaugliche Masken gut genug sind, um ihr Leben eben nicht zu schützen", sagte Walter-Borjans der "Bild am Sonntag". "Armin Laschet muss sich jetzt der Frage stellen, ob dieses skandalöse Vorgehen von Jens Spahn für eine Partei mit einem christlichen Etikett noch tragbar ist", sagte er mit Blick auf den CDU-Vorsitzenden.

Auf Twitter kursierte der Hashtag #spahnruecktritt. Die Linke twitterte über den Parteiacccount: "#Spahnsinn! Der #Spahnruecktritt ist überfällig." Auch von Grünen und FDP kamen Entlassungsforderungen.

Der Bundesrechnungshof (BRH) geht in einem Prüfbericht über die Beschaffung von Schutzausrüstung in der Coronakrise hart mit dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) ins Gericht. Das Haus von Jens Spahn (CDU) habe in einem ungeordneten Prozess viel zu viele Masken beschafft und dabei enorme Ausgaben in Kauf genommen.

Die Finanzkontrolleure monieren, die Käufe durch eine Arbeitsgruppe im Ministerium hätten dazu geführt, dass die Menge aller beschafften Masken mit insgesamt 5,8 Milliarden Stück selbst einen vom Gesundheitsministerium "auf der Grundlage sachfremder Annahmen berechneten Jahresbedarf von 4,7 Milliarden Schutzmasken noch um 23 Prozent" überstiegen habe. Allein bei den FFP2-Masken habe Spahns Ministerium ohne Beschaffungen in Deutschland mit einer Stückzahl von einer Milliarde "das Dreizehnfache des ermittelten Mindestbedarfs" und das "Achtfache der an die Bundesländer und Kassenärztlichen Vereinigungen bis heute ausgelieferten Mengen" beschafft, kritisiert der Bundesrechnungshof.

Der großzügige Maskenkauf ist teuer: Zu den Beschaffungskosten von 6,3 Milliarden Euro kämen "Annexkosten" von bislang 320 Millionen Euro, die durch Rechtsstreitigkeiten und mögliche Entsorgungskosten für zu viel beschaffte und abgelaufene Ware weiter ansteigen könnten, heißt es.

Die Bonner Prüfer halten dem Gesundheitsministerium zugute, dass die Aufgabe in der Hochphase der Pandemie sehr schwierig gewesen sei. Und doch: Die "Überbeschaffung in diesem Ausmaß" sei "vermeidbar" gewesen, so das Urteil des über 50 Seiten langen Berichts, der dem SPIEGEL vorliegt.

"Viele Entscheidungen und Einzelmaßnahmen sind unzureichend dokumentiert und lassen sich nicht nachvollziehen."

Bundesrechnungshof über die Maskenbeschaffung des Gesundheitsministeriums

Der Bundesrechnungshof hat über Monate versucht, sich einen Überblick zur Maskenbeschaffung im vergangenen Jahr zu verschaffen. Kompliziert war für die Beamten, dass die Spahn-Mitarbeiter auf verschiedenen Wegen Schutzausrüstung besorgt hatten. Einerseits fand dies über Direktverträge ohne Ausschreibung statt, teils unter Mitwirkung von Spahn selbst, wie der SPIEGEL unter anderem im Fall

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