25.10.2024
Spaniens schwindende Küsten: Kampf gegen den Klimawandel im Ebro-Delta

Über der Gischt der Wellen ist die kleine Spitze kaum zu erkennen. Das Leuchtfeuer in der Ferne wirkt klein, fast unscheinbar. Ganz anders als sein Vorgänger, den sich vor 60 Jahren das Mittelmeer holte. Fast ein Jahrhundert lang erhob sich auf der Landspitze an der Mündung des Ebro-Deltas ein gut fünfzig Meter hoher Leuchtturm aus Metall.

Der Faro de la Buda ähnelte dem Eiffelturm. Er war ein beliebtes Ausflugsziel und über den Strand zu Fuß erreichbar. Heute braucht man ein Boot, um seinen kleinen Nachfolger an etwa der gleichen Stelle zu erreichen. Knapp fünf Kilometer von den letzten Sandbänken entfernt, ragt er aus dem Mittelmeer.

Spaniens Küsten verschwinden. Wo der Ebro, der zweitgrößte Fluss, ins Meer strömt, lässt sich fast live beobachten, was der ganzen Iberischen Halbinsel droht. „Einer der kritischsten Punkte für das Überleben der Ufer liegt im Delta, das der Klimawandel buchstäblich verschlingt“, warnt die Biologin Mariajo Caballero.

Die Studie, die sie im Sommer für die Umweltorganisation Greenpeace verfasste, rief in Spanien große Beunruhigung hervor: Der Meeresspiegel steigt, die Wellen nagen an den Stränden – praktisch überall, aber besonders heftig in Katalonien und der Nachbarregion Valencia. Dort sind schon mehr als 60 Prozent der Sandstrände betroffen.

Spaniens wichtigstes Kapital ist in Gefahr

„Paradies der Biodiversität“ nennen Werbeslogans das Ebro-Delta mit seinen endlosen Reisfeldern und einsamen Sandstränden. Nach dem Nil ist es das zweitgrößte Mündungsgebiet im Mittelmeer. Das Zusammenspiel zwischen Ebro und Meer ließ in Katalonien ein einmaliges, aber äußerst empfindliches Ökosystem entstehen. Im Herbst flattern die Monarchfalter über die Dünen. Die Flamingos staksen durch die Feuchtgebiete. Zugvögel lieben das Reisanbaugebiet. Die ersten Überwinterer sind eingetroffen. Mehr als 360 Vogelarten zählt man dort.

Nicht nur dieser Reichtum könnte verloren gehen. Auch Spaniens wichtigstes Kapital ist in Gefahr. Das Land verdankt sein Wirtschaftswachstum den jährlich bald hundert Millionen Touristen, die auf der Suche nach „Sol y playa“ an die Strände kommen. Doch diese werden immer kleiner werden, wie die Playa de la Marquesa am Ostufer des Deltas.

Nach dem Baden kehren viele im Restaurant Vascos ein. Bei den Schwestern Otamendi stehen lokaler Aal und Muscheln auf der Speisekarte. Dazu Reis von den Plantagen, die gleich hinter dem Strand beginnen. Ihr baskischer Vater hatte sich in das Stück Küste verliebt und dort vor 70 Jahren ein großes Grundstück gekauft. Er fischte und pflanzte Reis, die Mutter machte den Chiringuito, die Strandbar, auf.

Trotz guter Reisernte unzufrieden

Damals lag das Lokal einen Kilometer von der Brandung entfernt. Heute gleicht es einer Festung. Ein Wall aus großen Felsen schützt den flachen Bau. Er ist so hoch, dass drinnen von den Tischen das Meer nicht mehr zu sehen ist, das gegen diese letzte Verteidigungslinie anstürmt. Jedes Jahr holt es sich mindestes drei weitere Meter. An den berühmten Dünen, die an die Sahara erinnern, lecken schon die Wellen.

Die goldgelb schimmernden Reisfelder unmittelbar dahinter liegen unter dem Meeresspiegel. Vögel umschwärmen die schweren Mähdrescher. Mit Raupenketten an den Vorderrädern ernten sie auf dem schlammigen Boden den Reis, bevor die Pflüge folgen. Die Ernte im zweitgrößten Anbaugebiet Spaniens ist inzwischen fast vorüber und ergiebig wie selten. Doch die Stimmung bei den Bauern ist schlecht.

„Wir leiden unter den Folgen des Klimawandels“, sagt Joan Ferrer, während er in seinem Geländewagen über die schmalen Dämme zwischen den gefluteten Reisfeldern fährt. Der 55-Jährige ist nicht nur Landwirt, sondern auch Chef der Kooperative von Deltebre, die den Reis unter der geschützten Ursprungsbezeichnung „Arròs del Delta de l’Ebre“ vermarktet.

Ferrer deutet auf den Kanal neben dem Damm. „Das Wasser ist salziger geworden“, sagt er. Der steigende Meeresspiegel lässt immer weniger Süßwasser zu. Das Grundwasser ist versalzen, die Ernten gehen zurück. „Wenn wir nichts tun, wird das hier bald aussehen wie die Camargue“, sagt Ferrer.

Doch nicht nur die Bauern fürchten um ihre Existenz. Auch die Bewohner der kleinen Orte an der Küste machen sich Sorgen. In L’Ampolla, einem ehemaligen Fischerdorf, das sich zu einem beliebten Ferienort entwickelt hat, demonstrieren die Einwohner gegen die Untätigkeit der Behörden. „Wir wollen unseren Strand zurück“, steht auf den Transparenten.

Tatsächlich ist von dem Strand, der einst mehrere hundert Meter breit war, nur noch ein schmaler Streifen übrig geblieben. Bei Flut verschwindet er ganz unter Wasser. Die Wellen schlagen bis an die Promenade.

„Das Meer frisst sich immer weiter ins Land“

„Das Meer frisst sich immer weiter ins Land“, sagt Jordi Marsal, der in L’Ampolla ein Restaurant betreibt. „Wenn wir nichts tun, wird es bald unsere Häuser erreichen.“ Marsal ist Sprecher der Bürgerinitiative „Sos Delta“. Sie fordert von der Regierung in Madrid, endlich Maßnahmen zu ergreifen, um die Küste zu schützen.

Doch die Regierung wiegelt ab. Der Küstenschutz sei Sache der autonomen Regionen, heißt es aus Madrid. Und die sind mit dem Problem überfordert. Katalonien hat zwar ein ehrgeiziges Programm aufgelegt, um die Küste zu schützen. Doch die Mittel reichen bei weitem nicht aus.

„Wir brauchen dringend Hilfe von der EU“, sagt der katalanische Umweltminister Guillem Cabré. „Der Klimawandel ist eine globale Herausforderung, die wir nur gemeinsam bewältigen können.“ Doch die EU lässt Spanien bisher im Stich. Die Hilfen, die Brüssel bisher zugesagt hat, sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

So bleibt den Menschen im Ebro-Delta nichts anderes übrig, als selbst aktiv zu werden. Sie pflanzen Bäume, um die Dünen zu befestigen. Sie errichten Barrieren aus Sandsäcken, um die Wellen zu brechen. Und sie beten, dass das Meer ihnen noch etwas Zeit lässt.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung

Weitere Quellen:

- https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/strandsterben-klimawandel-spanien-100.html - https://www.costanachrichten.com/costa-del-sol/cabo-de-gata-klimawandel-bedroht-traumstraende-andalusien-wissenschaftler-touristen-91114150.html - https://www.geo.de/natur/oekologie/strandsterben-an-spaniens-kuesten--renaturierung-koennte-helfen-34976084.html - https://m.focus.de/magazin/archiv/klimawandel-das-ende-der-straende_id_260032468.html - https://www.swr.de/swrkultur/wissen/am-mittelmeer-verschwinden-die-sandstraende-bald-nur-noch-fels-und-steine-102.html - https://www.tagesschau.de/wissen/klima/mittelmeer-temperatur-100.html - https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2022-09/klimawandel-sandstrand-utersum-insel-meeresspiegel
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