19.10.2024
Unruhen nach der Wahl in Venezuela: Ein neuer Aufstand oder das gewohnte Spiel?

Nach der Wahl: Beginnt in Venezuela das alte Spiel?

Am Tag nach der Präsidentschaftswahl in Venezuela kam es zu einer Welle von spontanen Protesten, die sich gegen die Regierung von Nicolás Maduro richteten. Bürgerinnen und Bürger der Hauptstadt Caracas sowie in anderen Städten versammelten sich zu Märschen und führten sogenannte „Cacerolazos“ durch, bei denen sie lautstark mit Kochtöpfen und Pfannen auf ihren Unmut aufmerksam machten. Diese Proteste wurden durch die Vorwürfe des Wahlbetrugs angeheizt, nachdem der regierungstreue Nationale Wahlrat in der Nacht nach der Wahl Maduro zum Sieger erklärt hatte. Dies geschah trotz der Ergebnisse aus Nachwahlumfragen, die einen klaren Sieg des oppositionellen Herausforderers Edmundo González andeuteten.

Die Oppositionskoalition, angeführt von González und der prominenten Oppositionsführerin María Corina Machado, verkündete, dass sie mehr als 70 Prozent der Wahlakten gesammelt habe. Machado erklärte: „Wir haben 73,2 Prozent der Wahlakten und mit diesem Ergebnis ist Edmundo González Urrutia unser gewählter Präsident.“ Sie betonte, dass der Vorsprung auf Maduro in allen Bundesstaaten Venezuelas überwältigend sei und kündigte an, die Auswertungen der Wahlakten publik zu machen. Details zu den Ergebnissen wurden jedoch nicht bereitgestellt, lediglich, dass bereits mehrere internationale Politiker Zugang zu den Daten erhalten hatten.

Proteste und Zusammenstöße

Die Protestaktionen nahmen am Montag zu und sorgten für Aufsehen. Einige Demonstranten gelangten bis zum internationalen Flughafen von Caracas, während andere sich vor einer bedeutenden Militärbasis positionierten und die Armee aufforderten, sich ihrem Protest anzuschließen. In der Stadt Falcón kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen, als ein mob eine Statue des verstorbenen ehemaligen Präsidenten Hugo Chávez niedergerissen wurde. In verschiedenen Vororten von Caracas wurden Wahlplakate der Regierung abgerissen und zerstört, und im Zentrum der Hauptstadt besetzten Demonstranten Straßen in der Nähe des Regierungspalastes und der Nationalversammlung.

Die Polizei war angesichts der Vielzahl an Unruheherden überfordert und konnte die Proteste nicht unter Kontrolle bringen. Es kam zu mehreren Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften. Berichten zufolge feuerten Mitglieder paramilitärischer Gruppen, die der Regierung nahe stehen, in der Hauptstadt mit Schusswaffen auf die Protestierenden, während die Polizei nicht eingriff.

Internationale Reaktionen

Die Vorwürfe des Wahlbetrugs und die Gewalt gegen Demonstranten zogen auch internationale Kritik nach sich. Regierungen in Europa und Amerika, darunter Deutschland und die Vereinigten Staaten, forderten eine transparente Auswertung aller Wahlakten. Das Carter Center, das Wahlbeobachter nach Venezuela entsandt hatte, unterstützte diese Forderung ebenfalls. Kolumbien und Brasilien, die einen aktiven Dialog mit der venezolanischen Regierung pflegen, zeigten sich abwartend. Celso Amorim, der frühere Außenminister Brasiliens, mahnte zur Vorsicht und forderte, dass die Herkunft der Ergebnisse klar dargelegt werden müsse.

In einer Reaktion auf die internationale Kritik zog die Regierung von Panama ihr diplomatisches Personal aus Venezuela ab. Gleichzeitig wies Caracas das diplomatische Personal von Argentinien, Chile, Costa Rica, Peru, Panama, der Dominikanischen Republik und Uruguay aus und kündigte den Rückzug ihrer Diplomaten an. Dies geschah vor dem Hintergrund einer Dringlichkeitssitzung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), bei der eine Resolution zur Unterstützung der venezolanischen Opposition gefordert wurde.

Die politische Lage in Venezuela

Die politische Situation in Venezuela ist seit Jahren angespannt. Nicolás Maduro, der seit 2013 im Amt ist, hat es geschafft, sich durch eine Vielzahl von Maßnahmen an der Macht zu halten. Die Kontrolle über alle wichtigen Institutionen, einschließlich der Wahlbehörde und des Militärs, hat ihm ermöglicht, auch gegen den Willen eines großen Teils der Bevölkerung an der Spitze zu bleiben. Vor der Wahl hatten Umfragen einen klaren Sieg der Opposition prognostiziert. Dennoch war bereits vor der Wahl klar, dass die Abstimmung unter nicht freien und fairen Bedingungen stattfinden würde.

Die Opposition hat sich in den letzten Jahren als fragmentiert und schwach erwiesen, was Maduro in die Hände spielt. Viele Venezolaner haben das Land verlassen, was den Protest gegen die Regierung zusätzlich schwächt. Diejenigen, die geblieben sind, sind oft von den Sozialleistungen des Regimes abhängig, die durch die „Heimatkarte“ verwaltet werden, ein System, das eine lückenlose Kontrolle über große Teile der Bevölkerung ermöglicht.

Ausblick auf die Zukunft

Die bevorstehenden Tage werden entscheidend sein, um zu sehen, wie sich die Situation in Venezuela weiterentwickelt. Die Opposition plant, die gesammelten Wahlakten zu veröffentlichen und weitere Proteste zu organisieren. Die Regierung hat jedoch bereits angekündigt, dass sie gegen jegliche Form von Aufstand vorgehen wird. Die internationale Gemeinschaft wird weiterhin beobachten, wie sich die Lage in Venezuela entwickelt, und es bleibt abzuwarten, ob es zu einer ernsthaften Auseinandersetzung zwischen der Regierung und der Opposition kommen wird.

Inmitten dieser Unsicherheiten stehen die Venezolaner vor der Frage, ob sich das alte Spiel der politischen Unterdrückung und des Machtmissbrauchs erneut wiederholen wird oder ob dies der Wendepunkt für einen Wandel in der politischen Landschaft des Landes sein könnte.

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