3.12.2024
Zwangsheirat Hilfegesuche steigen bundesweit

Steigende Zahlen bei Zwangsheirat: Immer mehr Betroffene suchen Hilfe

Bundesweit verzeichnen Beratungsstellen einen Anstieg von Menschen, die Hilfe aufgrund von Zwangsheirat und Menschenhandel suchen. Wie die Zeit am 3. Dezember 2024 berichtete, ist dieser Anstieg besonders deutlich in Sachsen-Anhalt zu beobachten. Dort stieg die Anzahl der Hilfesuchenden von durchschnittlich 40 bis 60 Fällen pro Jahr auf knapp 80 im Jahr 2022 und 120 im Jahr 2023. Yvonne Joachim, Leiterin der AWO-Beratungsstellen in Sachsen-Anhalt, rechnet für das laufende Jahr mit ähnlich hohen, möglicherweise sogar noch höheren Zahlen. Die Fachstelle Vera in Sachsen-Anhalt bietet betroffenen Mädchen und Frauen mehrsprachige Beratung, Unterstützung, Begleitung und Schutzwohnungen an. Die Betreuung der Betroffenen erstreckt sich häufig über einen längeren Zeitraum.

Als einen möglichen Grund für den Anstieg der Fallzahlen nennt Yvonne Joachim die verbesserte Informationsvermittlung über bestehende Hilfsangebote. Beratungsstellen, Frauenhäuser, die Polizei, Schulsozialarbeiter*innen und Behörden vermitteln an die Fachstelle Vera. Auch das Bewusstsein für das Thema sei gestiegen, so Joachim. Vera bietet Schulungen für Fachkräfte an, zum Beispiel für Polizeibeamt*innen, um den Umgang mit Betroffenen zu verbessern. Ziel ist es, den Beamt*innen beizubringen, wie sie in konkreten Situationen reagieren sollen, beispielsweise wenn ein Mädchen anruft, das zu Hause eingesperrt ist, weil es am nächsten Morgen zwangsverheiratet ins Ausland gebracht werden soll. Getrennte Befragungen von der Familie, Telefondolmetschen und die Betreuung durch weibliche Beamt*innen seien entscheidend, damit sich die Mädchen öffneten, erklärte Joachim. Die Gefahr einer Eskalation der Situation sei stets präsent.

Über ein Drittel der Hilfesuchenden im Jahr 2023 waren zwischen 11 und 25 Jahre alt. Die Fachstelle unterstützte jedoch auch ältere Frauen mit erwachsenen Kindern dabei, sich aus gewalttätigen Verhältnissen zu befreien. Die Klientinnen kamen aus 35 verschiedenen Herkunftsländern, am häufigsten aus Syrien, Deutschland, Afghanistan und Kamerun. Im Jahr 2023 wurden neun Klientinnen und ihre Kinder als Hochrisikofälle eingestuft, bei denen eine konkrete Gefahr für Leib und Leben bestand. In solchen Fällen werden Fallkonferenzen mit Opferschutzbeauftragten der Polizei, Behördenvertreter*innen und der Fachstelle Vera einberufen, um schnell und effektiv Hilfe zu leisten. Dies kann die Unterbringung in einem anonymen Wohnprojekt oder einen Umzug in ein anderes Bundesland bedeuten.

Trotz der erweiterten Hilfemöglichkeiten in den letzten Jahren plädiert Yvonne Joachim für weitere Verbesserungen, insbesondere im Bereich des sogenannten operativen Opferschutzes. Eine Gesetzesänderung wäre hilfreich, um Betroffenen mit auf ihre individuelle Situation zugeschnittenen Maßnahmen zu helfen, die derzeit nur schwer und mit hohem Zeitaufwand umzusetzen sind. Auch der Verein SOLWODI berichtet von Zwangsheirat, häuslicher Gewalt und Morddrohungen im Raum Koblenz (SWR, 22.08.2024). Betroffen seien vor allem Mädchen und junge Frauen zwischen 16 und 20 Jahren. Die gestiegene Anzahl bekannter Fälle sei unter anderem auf verstärkte Aufklärungsarbeit zurückzuführen. In Deutschland wandten sich 138 Mädchen und Frauen wegen drohender und 113 wegen bereits vollzogener Zwangsheirat an SOLWODI. 117 Frauen erhielten Morddrohungen aus dem familiären Umfeld.

Auch in der Schweiz ist die Problematik präsent. Wie SRF berichtet (SRF), melden sich jährlich rund 350 junge Menschen, die zwangsverheiratet wurden oder zwangsverheiratet werden sollen. Die Fachstelle Zwangsheirat in der Schweiz berät Betroffene und engagiert sich in der Prävention. Die Juristin Anu Sivaganesan betont die Schwierigkeit im Kampf gegen Zwangsverheiratung, da die Taten oft im familiären Umfeld geschehen und Betroffene häufig nicht gegen ihre Eltern aussagen wollen. Laut der "Bundesweiten Koordinationsstelle gegen Verschleppung und Zwangsheirat" in Österreich (BMI Österreich) ist die Zahl der Verschleppungsfälle in den letzten Jahren stetig gestiegen. Verstärkte Aufklärung und Präventionsarbeit seien unerlässlich.

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