18.10.2024
HeidschnuckeKulinarischerSchatzderLüneburgerHeide

Kolumne Geschmackssache: Ein Festmahl für den bösen Wolf

Die Heidschnucke, Symboltier der Lüneburger Heide, ist mehr als nur ein possierliches Fotomotiv. Sie ist der Garant für das Überleben dieses einzigartigen Ökosystems und liefert nebenbei exzellentes Fleisch. Doch ausgerechnet diese Delikatesse findet in der Region selbst kaum Anklang. Ein kulinarischer Widerspruch, den es zu ergründen gilt.

Ein Schäfer aus Leidenschaft

Carl Wilhelm Kuhlmann ist studierter Agraringenieur und Heidschnuckenhirte mit Leib und Seele. Seine Familie bewirtschaftet seit Generationen Land in der Lüneburger Heide, und er hütet die Herde von 850 Heidschnucken mit Hingabe und Expertise. „Die Tiere spüren, ob man sie versteht“, erzählt Kuhlmann. „Behandle ich sie schlecht oder führe sie zu kargen Weideflächen, schwinden Vertrauen und Folgsamkeit.“

Tatsächlich wirkt die Beziehung zwischen Kuhlmann und seinen Schützlingen geradezu symbiotisch. Wie auf Kommando setzt sich die Herde in Bewegung, als der Schäfer den Befehl zum Aufbruch zum Heidschnuckenhof Niederohe gibt.

Die Heidschnucke: Landschaftspfleger und Lebensretter

Die Bedeutung der Heidschnucken für die Lüneburger Heide kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ohne die genügsamen Schafe wäre die karge Landschaft, geprägt von sandigen Böden und spärlicher Vegetation, wohl kaum bewohnbar gewesen. Bis ins Mittelalter erstreckte sich hier ein dichter Mischwald, der jedoch für Bauholz und Brennmaterial fast vollständig gerodet wurde. Zurück blieb eine Steppe, die nur den genügsamen Heidschnucken ausreichend Nahrung bot.

Wie die F.A.Z. berichtet, war es der Dung der Heidschnucken, der den Bauern das Überleben sicherte. In den Ställen gesammelt, diente er als Dünger für den Anbau von Roggen, Gerste und Kartoffeln. Heute verhindern die Schafe, dass der Wald die Heide zurückerobert und erhalten so die einzigartige Flora und Fauna, die jedes Jahr unzählige Touristen anzieht.

Der Wolf: Ein kulinarischer Lehrmeister?

Doch die Idylle trügt. Der Wolf ist zurück in der Lüneburger Heide und macht den Schäfern das Leben schwer. Mindestens 25 Rudel soll es laut Kuhlmann bereits geben. Obwohl die Tiere unter strengem Schutz stehen, bedeuten sie für die Herden eine ständige Gefahr. Kuhlmann versucht, die Raubtiere mit einem Quad zu vertreiben, doch die „klugen Jäger“, wie er sie nennt, machen es ihm nicht leicht.

Ironischerweise weiß der Wolf die Heidschnucke mehr zu schätzen als viele Menschen der Region. Jahrhundertelang galt das Fleisch der genügsamen Schafe als Arme-Leute-Essen und wird bis heute von den meisten Bewohnern der Lüneburger Heide verschmäht.

Ein Festmahl für Genießer

Doch es gibt Hoffnung. Einige Gastronomen, wie Alexander Niemeyer vom Posthotel in Müden, haben die Heidschnucke wiederentdeckt und servieren ihren Gästen raffinierte Gerichte, die die Einzigartigkeit des Fleisches zur Geltung bringen. Ob Carpaccio, Terrine oder geschmorte Keule – die Zubereitungsarten sind vielfältig und zeugen von der Experimentierfreude der Köche.

Das Fleisch der Heidschnucke ist im Geschmack einzigartig und unverwechselbar. Es erinnert an Wild, mal an Bison, mal an Rind, behält aber stets eine feine Lammnote. Die F.A.Z. beschreibt das Aroma als „kompakt und intensiv“ und führt dies auf die vielfältige Ernährung der Tiere zurück. Kräuter, Gräser und Heidekraut verleihen dem Fleisch eine Komplexität und Raffinesse, die man bei anderen Lammarten vergeblich sucht.

Ein kulinarisches Paradox

Es ist ein Paradox: Während in anderen Ländern die Heidschnucke längst zum kulinarischen Kulturgut avanciert wäre, fristet sie in ihrer Heimat ein stiefmütterliches Dasein. Köche wie Alexander Niemeyer und Schäfer wie Carl Wilhelm Kuhlmann bleiben Einzelkämpfer, die für die Anerkennung der Heidschnucke als Delikatesse kämpfen. Ein Kampf gegen hartnäckige Vorurteile und für den bewussten Genuss eines einzigartigen regionalen Produkts.

Quellen:

  • https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kolumnen/geschmackssache/symboltier-der-lueneburger-heide-und-fleischlieferant-die-heidschnucke-110052191.html
Weitere
Artikel