19.10.2024
Herausforderungen für die EU-Kommission im Hinblick auf Geschlechterparität
EU-Kommission: Von der Leyen droht Scheitern beim Geschlechterziel

EU-Kommission: Von der Leyen droht Scheitern beim Geschlechterziel

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht sich aufgrund mangelnder Unterstützung seitens der Mitgliedstaaten mit ernsthaften Herausforderungen konfrontiert, die ihre Pläne für ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in der neuen Kommission gefährden. Kurz vor dem Ablauf einer Nominierungsfrist haben Recherchen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) ergeben, dass mehr als die Hälfte der EU-Staaten lediglich männliche Kandidaten für das Kollegium der Kommissare vorgeschlagen hat. Das Kollegium soll wie bisher aus 27 Mitgliedern bestehen, wobei jeder Mitgliedstaat ein Kommissionsmitglied benennen darf. Von der Leyen und die bereits nominierte Außenbeauftragte Kaja Kallas zählen dabei mit.

Aktuelle Situation der Nominierungen

Wenn sich an den Nominierungen nicht mehr viel ändert, könnte das neue Kollegium am Ende zu rund zwei Dritteln aus Männern bestehen. Derzeit sind immerhin 12 der 27 Kommissionsmitglieder weiblich. Die EU-Kommission hat rund 32.000 Mitarbeiter, die unter anderem Vorschläge für neue EU-Gesetze erarbeiten und die Einhaltung der Europäischen Verträge überwachen.

Ignorierte Aufforderungen von Ursula von der Leyen

Die im Juli wiedergewählte Präsidentin von der Leyen hatte die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten darum gebeten, sowohl einen Mann als auch eine Frau zu nominieren, um ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in der Kommission zu ermöglichen. Ausgenommen von dieser Bitte waren nur die Regierungen, die einen derzeit amtierenden Kommissar erneut nominieren. Länder wie Frankreich, Ungarn und Lettland haben diese Aufforderung ignoriert und lediglich männliche Kandidaten vorgeschlagen. So wird beispielsweise der derzeitige Binnenmarktkommissar Thierry Breton aus Frankreich ins Rennen geschickt, während Ungarn den Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi und Lettland den Handelskommissar Valdis Dombrovskis nominiert hat.

Dänemarks Nominierung und die Reaktion der Regierung

Dänemark hat angekündigt, den bisherigen Minister für Entwicklungszusammenarbeit, Dan Jørgensen, als neuen EU-Kommissar nach Brüssel zu entsenden. Ministerpräsidentin Mette Frederiksen betonte, dass man sich nicht dafür schämen müsse, keine Frau nominiert zu haben, da Dänemark in der Vergangenheit bereits von der Kommissarin Margrethe Vestager vertreten worden sei.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Für von der Leyen ist das Verhalten der Mitgliedstaaten frustrierend, doch rechtlich sind die Regierungen nicht verpflichtet, ihrer Aufforderung nachzukommen. Der EU-Vertrag legt lediglich fest, dass in der Kommission das demografische und geografische Spektrum der Mitgliedstaaten zum Ausdruck kommen soll. Eine explizite Vorgabe zur Geschlechterparität fehlt.

Letzte Schritte zur Neubesetzung der Kommission

Die Auswahl der Kommissarinnen und Kommissare ist der letzte große Schritt zur Neubesetzung politischer Spitzenpositionen nach der Europawahl im Juni. Von der Leyen wurde kurz nach der Wahl von den Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten für eine zweite Amtszeit nominiert und vom Europaparlament gewählt. Sie muss nun die Nominierungen der Regierungen für die Kommissarsposten entgegennehmen und eine Aufgabenverteilung vornehmen.

Druck auf Mitgliedstaaten und mögliche Angebote

Theoretisch hat von der Leyen die Möglichkeit, Druck auf die Mitgliedstaaten auszuüben, um noch eine Frau zu nominieren. Regierungen haben jedoch oft ein Interesse daran, mit ihrem Kandidaten ein wichtiges Ressort zu besetzen, insbesondere in Bereichen wie Finanzen, Wirtschaft und Wettbewerb.

Berichten zufolge hat von der Leyen Malta vorgeschlagen, die aktuelle maltesische Kommissarin Helena Dalli erneut zu nominieren, anstelle des früheren Bürochefs des Regierungschefs. Im Gegenzug könnte Dalli ein attraktiveres Ressort erhalten.

Auswirkungen auf die Autorität der Präsidentin

Der italienische EU-Rechtsexperte Alberto Alemanno warnte, dass ein von Männern dominiertes Kollegium die Autorität von von der Leyen schwächen könnte. Er forderte sie auf, den nationalen Hauptstädten ihre Unzufriedenheit deutlich zu machen und sie zu bitten, schnellstmöglich eine neue Kandidatenliste aufzustellen, um ihren eigenen Reputationsschaden und den der gesamten EU zu begrenzen.

Potenzielle Herausforderungen im Europäischen Parlament

Nach Einschätzung des Professors könnte es auch dazu kommen, dass schwache männliche Kommissarsanwärter im Europäischen Parlament nicht die notwendige Zustimmung erhalten. Dies könnte dazu führen, dass die Regierungen, die sie nominiert haben, neue Kandidaten benennen müssten. Ein solcher Verlauf könnte den Beginn der Amtszeit der neuen Kommission verzögern, was in geopolitisch wichtigen Zeiten problematisch sein könnte. Das neue Team von Ursula von der Leyen soll eigentlich am 1. November seine Arbeit aufnehmen, kurz vor der Präsidentschaftswahl in den USA.

Fazit

Die Herausforderungen, vor denen Ursula von der Leyen steht, sind vielfältig und komplex. Die mangelnde Kooperation der Mitgliedstaaten könnte nicht nur ihre Pläne für ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis gefährden, sondern auch weitreichende Auswirkungen auf die Autorität der EU-Kommission und die politische Landschaft der Europäischen Union haben.

Quellen: dpa, Zeit Online

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