17.10.2024
Italienische Zerrissenheit auf der Frankfurter Buchmesse

Wo das Gastland Italien sich zeigt: Gräben auf der Buchmesse

Die Frankfurter Buchmesse 2024 steht im Zeichen Italiens. Doch der Ehrengastauftritt des Landes wird von politischen Kontroversen überschattet. Während der offizielle Pavillon mit dem Motto „Wurzeln in der Zukunft“ die Schönheit Italiens preist, haben regierungskritische Autoren eigene Foren gefunden, um ihre Stimmen zu Gehör zu bringen. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) berichtet, sind die Gräben zwischen dem offiziellen Programm und denjenigen, die die Politik der Regierung Meloni als neofaschistisch kritisieren, unübersehbar.

Kritik am offiziellen Auftritt

Der von Mauro Mazza, dem Beauftragten der italienischen Regierung, verantwortete Ehrengastauftritt wird von vielen Seiten kritisiert. So lud der PEN Berlin zu einer Diskussionsrunde unter dem Titel „Wurzeln in der Gegenwart“ ein. Es gehe darum, so die PEN-Ko-Vorsitzende Eva Menasse, den italienischen Autorenkollegen Raum zu geben für Themen, die ihnen unter den Nägeln brennen und die im offiziellen Programm möglicherweise zu kurz kommen.

Tatsächlich beschränkte sich die Eröffnung des Ehrengast-Pavillons auf ein Lob der Schönheit Italiens, wie die F.A.Z. berichtet. Philosoph Stefano Zecchi huldigte die „piazza italianissima“, Bestsellerautorin Susanna Tamaro äußerte sich banal über hässliche Autos und Hunde, die die Schönheit der Natur wahrnähmen.

Regierungskritische Stimmen suchen eigene Wege

Autoren wie Francesca Melandri, Paolo Giordano und Antonio Scurati, die vom Ehrengast nicht eingeladen wurden oder ihre Teilnahme aus Protest absagten, fanden auf der Buchmesse andere Auftrittsmöglichkeiten. So luden sie zu Gesprächen im „Frankfurt Pavilion“ auf der Agora, dem neuen „Zentrum Wort“ für Literatur und Übersetzung, ein. Auch die Bühnen der Verlage boten den Autoren, die sich kritisch mit der italienischen Regierung auseinandersetzen, ein Forum.

Antonio Scurati, dessen vierter Band der Mussolini-Romanbiographie „M.“ soeben auf Deutsch erschienen ist, betonte, dass es ihm nicht darum gehe, schlecht über die Regierung zu reden. Vielmehr wolle er dazu einladen, sich mit der italienischen Kultur der Gegenwart zu beschäftigen. Scurati, der wegen einer abgesagten Rede zum italienischen Befreiungstag selbst Erfahrungen mit Verleumdung, Hass und Bedrohungen machen musste, beobachtet nicht nur in Italien, sondern in vielen Ländern mit rechten, autoritären Regierungen ein Umdeuten der Geschichte, insbesondere des Faschismus.

Gemeinsam mit Melandri, Giordano und knapp 40 weiteren Autoren hatte Scurati im Sommer einen offenen Brief verfasst, nachdem der bekannte Mafia-Enthüllungsautor Roberto Saviano nicht vom Ehrengast-Team eingeladen worden war. In dem Brief warfen die Unterzeichner der italienischen Regierung vor, missliebige und regierungskritische Stimmen von der Buchmesse auszuschließen und sich zunehmend in den Kulturbetrieb einzumischen.

Kontrolle, Zensur, Einschüchterung

Paolo Giordano gab an, dass ihm die letzten zwei Jahre Regierung die Augen geöffnet hätten, auf welcher Seite er stehe. In Gesprächen mit der F.A.Z. sprachen die kritischen Autoren Themen wie Medienkontrolle und eine willfährige Presse, die Einschränkung der Meinungsfreiheit, die Disziplinierung missliebiger Kritiker und auf die Person zielende Kampagnen an.

Währenddessen präsentierte sich das offizielle Programm des Ehrengasts in weiten Teilen unpolitisch und wenig aktuell. So diskutierten Giordano Bruno Guerri, der Direktor des bei Rechten beliebten Vittoriale, der ehemaligen Wohnstatt Gabriele d’Annunzios, und der Autor Giuseppe Culicchia vor spärlichem Publikum über d’Annunzios frühen Roman „Il Piacere“ (1889).

Italien zeigt sich auch abseits des Pavillons

Dass der diesjährige Ehrengastauftritt anders ist als gewohnt, zeigt sich auch abseits des Pavillons. Die großen Ausstellungen, wie die Werkschau von Carol Rama in der Schirn oder die Ausstellung zur Grafik des Barocks im Städel, kamen ohne Beteiligung des Ehrengasts zustande. Während in der Alten Oper italienische Volkstänze gezeigt wurden, fanden die wichtigen Diskurse an anderen Orten statt.

Die Frankfurter Buchmesse bietet in diesem Jahr ein gespaltenes Bild des Gastlandes Italien. Neben dem offiziellen Auftritt, der von vielen als zu unkritisch und regierungsnah wahrgenommen wird, zeigen sich die Lebendigkeit und Vielfalt der italienischen Kultur an anderen Orten – und beweisen, dass es für kritische Stimmen auch in schwierigen Zeiten Möglichkeiten gibt, sich Gehör zu verschaffen.

Quelle: F.A.Z.

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