September 28, 2024
Jazz und Widerstand: Ein Festival in Leipzig erinnert an die DDR-Geschichte

Warte nicht auf bessere Zeiten: Ein Festival in Leipzig zum DDR-Jazz

Jazz als Politikum? In Deutschland wird derzeit eine spannende Debatte über die soziale Widerstandskraft improvisierter Musik geführt. Anders als in den USA, dem Geburtsland des Jazz, wo die Geschichte dieser Musikrichtung eng mit der afroamerikanischen Emanzipationsbewegung verwoben ist, wird der politische Charakter des Jazz hierzulande kontrovers diskutiert.

Dennoch betonte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Videobotschaft an die Deutsche Nationalbibliothek Leipzig die Bedeutung des Jazz als Symbol für Freiheit. Besonders in Zeiten, in denen die Demokratie bedroht sei, gelte es, das freiheitlich-demokratische Lebensgefühl, das dem Jazz innewohne, wiederzubeleben. Steinmeier bezog sich dabei ausdrücklich auf die "Jazzwerkstatt Peitz", die fast zehn Jahre lang bis zu ihrem Verbot durch die SED im Jahr 1982 den Free Jazz als Ausdruck eines utopischen Möglichkeitsraums in die ostdeutsche Provinz brachte. Dies berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 27.09.2024.

Ein Festival der leisen Töne des Protests

Wie passt das alles zusammen? Das nicht ganz eindeutige Bekenntnis eines Staatsoberhaupts zur Freiheitsidee des Jazz war während des dreitägigen Festivals "Störenfriede: Jazz, Protest + Revolution" in der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig zu erleben. Anlass für dieses in einer Bibliothek eher ungewöhnliche Ereignis war der Erwerb des Archivs der "Jazzwerkstatt Peitz" durch den Festivalmacher Ulli Blobel – das nun als nationales Kulturgut gilt.

Stephanie Jacobs, Leiterin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums in Leipzig, hat es ermöglicht, dass das über tausend Medien umfassende Peitz-Archiv mit seinen Plakaten, Programmheften, Fotos, Briefwechseln und Audioaufnahmen nun der Forschung zugänglich ist. Das Archiv beleuchtet nicht nur die Vorgeschichte der Friedlichen Revolution von 1989, sondern zeigt auch beispielhaft, welche kulturellen Praktiken in autokratischen Systemen möglich sind.

Jazz in der DDR: Zwischen Förderung und Verbot

Dass solche Orte musikalischer Freiheit, an denen sich unkonventionelle Gedanken entfalten konnten, die nicht zum DDR-Alltag gehörten, nur mit Kompromissen zu verwirklichen waren, zeigt sich am Beispiel der "Jazzwerkstatt Peitz". Wo ein Lebensgefühl der Nonkonformität – für viele junge Menschen in der DDR gleichbedeutend mit einem Überlebensgefühl – aufblühen und die "Hoffnung" in vielfältigen Klangfarben Gestalt annehmen konnte, musste man sich zwangsläufig mit der Kulturbürokratie arrangieren.

Wurden dabei, wie möglicherweise auch im Fall Peitz, in der Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit Grenzen überschritten, so dienten diese Grenzüberschreitungen doch meist dazu – das wurde in zwei hochkarätig besetzten Podiumsdiskussionen in Leipzig deutlich –, neue Handlungsspielräume mit der Staatsmacht auszuloten.

Frank-Walter Steinmeier und noch eindringlicher der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk plädierten daher dafür, fernab jeglicher moralischer Vorverurteilung "ein historisch genaues Bild des Festivals in all seinen subtilen Grautönen zu zeichnen". Denn die Entstehung der "Jazzwerkstatt Peitz" verdeutlicht, wie wechselhaft die Geschichte des Jazz in der DDR – zwischen Verbot und Duldung, Anpassung und Protest, Instrumentalisierung und Förderung – verlief und welche Impulse noch heute von den Vertretern des Free Jazz ausgehen.

Die Jazzwerkstatt Peitz: Ein Symbol des Widerstands

Die "Jazzwerkstatt Peitz", gegründet 1972, war mehr als nur ein Musikfestival. Sie war ein Ort des freien Denkens, des Austauschs und des Protests. In der Abgeschiedenheit der Provinz Brandenburg, fernab der Kontrolle der Behörden in Ost-Berlin, fand hier der Free Jazz eine Heimat. Musiker aus Ost und West trafen aufeinander, improvisierten gemeinsam und schufen eine Atmosphäre der Freiheit und Kreativität.

Doch die "Jazzwerkstatt Peitz" war den Machthabern ein Dorn im Auge. Die improvisierte Musik, die Texte, die Auftritte – all das passte nicht in das enge Weltbild der SED. 1982 wurde das Festival verboten. Doch die Erinnerung an die "Jazzwerkstatt Peitz" lebte weiter – als Symbol des Widerstands, der Sehnsucht nach Freiheit und der Kraft der Musik.

Das Festival "Störenfriede" in Leipzig

Das Festival "Störenfriede: Jazz, Protest + Revolution" in der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig vom 20. bis 22. September 2024 erinnerte an die Geschichte der "Jazzwerkstatt Peitz" und ihre Bedeutung für die Jazzgeschichte der DDR. Neben Konzerten mit zeitgenössischen Jazzmusikern, die von der "Jazzwerkstatt Peitz" inspiriert wurden, bot das Festival auch Podiumsdiskussionen, Filmvorführungen und Workshops an.

Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, welche Rolle der Jazz in der DDR spielte und wie er zur Überwindung der deutschen Teilung beitrug. Das Festival "Störenfriede" war ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte und zeigte, dass Jazz mehr ist als nur Musik – er ist auch ein Ausdruck von Freiheit, Individualität und dem Wunsch nach Veränderung.

Quellen:

  • https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/das-festival-stoerenfriede-in-leipzig-zum-ddr-jazz-110011004.html
  • https://www.dnb.de/DE/Kulturell/Jazzfestival/jazzfestival.html
  • https://www.dnb.de/DE/Ueber-uns/Presse/AktuellePM/20240912JazzfestivalInLeipzig.html
  • https://de.wikipedia.org/wiki/Wolf_Biermann
  • https://www.wolf-biermann.de/
  • https://hoerspielsommer.de/
  • https://www.leipzig.de/freizeit-kultur-und-tourismus/veranstaltungen-und-termine/eventsingle/event/stoerenfriede-jazz-protest-und-revolution-die-jazzwerkstatt-peitz-zu-gast-in-der-deutschen-nationalbibliothek
  • https://rausgegangen.de/en/leipzig/
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