19.10.2024
Reform der Rückgabe von NS-Raubkunst: Ein Schritt zur Stärkung der Opferrechte

NS-Raubkunst: Zur Stärkung der Stellung der Opfer

Die Diskussion um die Rückgabe von NS-Raubkunst hat in den letzten Jahren an Intensität gewonnen, insbesondere im Hinblick auf die Rechte der Opfer und ihrer Nachfahren. Die Beratende Kommission, die seit 2003 für die Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut zuständig war, wird nun durch eine Schiedsgerichtsbarkeit ersetzt. Dieser Schritt hat sowohl Zustimmung als auch Kritik ausgelöst und wirft grundlegende Fragen zur Rechtewahrnehmung der Opfer auf.

Im Mai 2024 informierte Kulturstaatsministerin Claudia Roth die Mitglieder der Beratenden Kommission darüber, dass ihre Dienste nicht mehr benötigt werden. Stattdessen wird eine Schiedsgerichtsbarkeit eingerichtet, die darauf abzielt, die Rückgabe von NS-Raubkunst effektiver zu gestalten. Der Vorsitzende der Beratenden Kommission, Hans-Jürgen Papier, äußerte scharfe Kritik an diesem Schritt und verwies darauf, dass die Bundesregierung im Koalitionsvertrag eine Stärkung der Kommission versprochen hatte. Dies wirft die Frage auf, wie eine Studie, die die Stärkung der Kommission zum Ziel hatte, zu dem Ergebnis führen konnte, dass ihre Abschaffung notwendig sei.

Die Beratende Kommission hatte in den vergangenen zwei Jahrzehnten nur in wenigen Fällen Empfehlungen zur Rückgabe ausgesprochen. Von mehr als 75.000 Meldungen von NS-Raubkunst in der Lost-Art-Datenbank wurden lediglich 23 Fälle behandelt. Dies liegt unter anderem daran, dass die Kommission nur tätig werden konnte, wenn beide Parteien – die Antragsteller und die kulturgutbewahrenden Institutionen – einer Anrufung zustimmten. Diese Regelung führte dazu, dass viele Opfer und deren Nachfahren von der Möglichkeit der Klärung ihrer Ansprüche ausgeschlossen waren.

Ein zentraler Kritikpunkt an der bisherigen Regelung war das sogenannte Vetorecht der Institutionen, die das Kulturgut verwahren. Dies bedeutete, dass Museen und andere Einrichtungen die Klärung von Restitutionsfragen blockieren konnten, indem sie sich weigerten, der Anrufung der Kommission zuzustimmen. Ein Beispiel ist der Fall des Gemäldes „Madame Soler“ von Pablo Picasso, dessen Rückgabe seit vielen Jahren strittig ist. Das Museum, das das Werk verwahrt, hat sich geweigert, an dem Verfahren teilzunehmen, was die Klärung der Restitutionsfrage erheblich erschwert hat.

Die geplante Schiedsgerichtsbarkeit soll nun eine einseitige Anrufbarkeit ermöglichen, was bedeutet, dass Opfer und deren Nachfahren ihre Ansprüche auch ohne Zustimmung der Institutionen geltend machen können. Dies wird als ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Rechte der Opfer angesehen, da es ihnen ermöglicht, ihre Ansprüche direkt und ohne zusätzliche Hürden durchzusetzen. Rechtswissenschaftler Matthias Weller betont, dass die neue Regelung den Opfern eine stärkere Position verleiht: „Man ist nicht mehr Bittsteller, sondern wirklich Berechtigter.“

Die Reform wird von verschiedenen Seiten begrüßt, jedoch gibt es auch Bedenken hinsichtlich der praktischen Umsetzung. Kritiker warnen, dass die Schaffung einer Schiedsgerichtsbarkeit allein nicht ausreicht, um die bestehenden Probleme zu lösen. Es wird gefordert, dass auch eine gesetzliche Grundlage geschaffen wird, die die Rechte der Opfer klar definiert und die Rückgabe von NS-Raubkunst verbindlich regelt. Ein solches Restitutionsgesetz könnte wichtige Aspekte wie die Verjährung von Ansprüchen und die Beweislastumkehr klären.

Ein weiterer wichtiger Punkt in der Diskussion ist die Herkunftskennzeichnung von Kulturgütern. Rüdiger Mahlo, Vertreter der Claims Conference, fordert eine gesetzliche Verpflichtung zur Herkunftskennzeichnung, um die Transparenz im Umgang mit NS-Raubkunst zu erhöhen. Dies sei besonders wichtig, um die oft komplizierte Provenienz von Kunstwerken nachvollziehbar zu machen und um sicherzustellen, dass die Rechte der ursprünglichen Eigentümer gewahrt bleiben.

Die Reform der Beratenden Kommission und die Einführung einer Schiedsgerichtsbarkeit sind nur Teile eines umfassenderen Prozesses, der darauf abzielt, die Rechte der Opfer von NS-Raubkunst zu stärken. Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, die Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern zu verbessern und die Belange der Nachfahren der Opfer in den Mittelpunkt zu stellen. Es bleibt abzuwarten, wie diese Reformen in der Praxis umgesetzt werden und ob sie tatsächlich zu einer signifikanten Verbesserung der Situation für die Opfer und ihre Nachfahren führen werden.

Insgesamt zeigt die Entwicklung um die NS-Raubkunst, dass die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit und die Rückgabe von geraubtem Kulturgut nach wie vor ein komplexes und sensibles Thema ist, das sowohl rechtliche als auch moralische Dimensionen umfasst. Die Herausforderungen, die sich aus der Geschichte ergeben, sind noch lange nicht vollständig bewältigt, und es bedarf weiterer Anstrengungen, um eine gerechte und faire Lösung für alle Betroffenen zu finden.

Die Diskussion um NS-Raubkunst wird auch in Zukunft von zentraler Bedeutung sein, insbesondere im Hinblick auf die Verantwortung des Staates und der Gesellschaft, den Opfern und ihren Nachfahren gerecht zu werden. Die Schaffung einer Schiedsgerichtsbarkeit könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein, doch es ist klar, dass dies nur der Anfang eines langen und notwendigen Prozesses ist.

Die Bundesregierung steht vor der Herausforderung, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Opfern ermöglichen, ihre Ansprüche erfolgreich durchzusetzen. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die kulturellen Institutionen in Deutschland ihre Verantwortung wahrnehmen und aktiv an der Aufarbeitung der Vergangenheit mitwirken.

Die kommenden Monate werden entscheidend sein, um zu sehen, wie die Reformen umgesetzt werden und ob sie tatsächlich zu einer Stärkung der Stellung der Opfer führen. Der Weg zur Gerechtigkeit ist oft lang und steinig, aber er ist notwendig, um die historischen Ungerechtigkeiten zu beheben und den Opfern von NS-Raubkunst die Anerkennung und den Respekt zu zollen, die sie verdienen.

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