Berichte über zunehmende Gewalt gegen Regierungsbeamte in China geben Anlass zur Sorge. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) dokumentiert eine Reihe von Vorfällen seit dem vergangenen Sommer, bei denen Provinzbeamte getötet wurden. Diese Entwicklung beunruhigt sowohl Beobachter als auch die Regierung in Peking.
Exemplarisch steht der Fall von Zhao Liping, der im November 2024 eine Gemeindeangestellte in Nantong erstach, nachdem ihm die Sozialhilfeleistungen entzogen wurden. Wie die Lokalzeitung „Wöchentliches Leben“ berichtete, nahm sich Zhao nach der Tat das Leben. Auslöser war die Einstellung der Unterstützung, nachdem er nach dem Tod seiner Mutter eine einmalige Zuwendung von Verwandten erhalten hatte. Dieser Fall verdeutlicht die wachsende Verzweiflung in Teilen der chinesischen Gesellschaft.
Die F.A.Z. zitiert zehn ähnliche Fälle, die in lokalen Medien und sozialen Netzwerken dokumentiert wurden. Experten vermuten eine deutlich höhere Dunkelziffer. Die Gewalt gegen Beamte wird als Indikator für steigende soziale Spannungen gedeutet. Die strengen Corona-Maßnahmen, die Krise am Immobilienmarkt und der wirtschaftliche Abschwung haben die Lebensbedingungen vieler Chinesen verschlechtert.
Die Fokussierung der Zentralregierung auf Industrieproduktion und Export verschärft die Situation zusätzlich. Die Binnennachfrage ist schwach, und das Vermögen vieler Haushalte schrumpft. Die Provinzen sind zu Sparmaßnahmen gezwungen, was zu Einschnitten bei Sozialleistungen führt. So berichtete eine Gemeindemitarbeiterin aus Zhejiang einer Wochenzeitung von verschärften Vorgaben zur Reduzierung der Sozialhilfeempfänger.
Ein weiterer Auslöser für die Gewalt sind Enteignungen von Wohnhäusern durch lokale Behörden. Im Juni 2024 wurde in Shanxi ein für Abrissarbeiten zuständiger Beamter erstochen. Der Täter hatte sein Haus ohne Entschädigung verloren. Ähnliche Fälle, in denen Bürger durch behördliche Maßnahmen in existenzielle Not geraten, tragen zur Eskalation bei.
Victor Shih, Professor für chinesische Politik an der University of California in San Diego, sieht in der Gewaltwelle ein Zeichen dafür, dass etablierte Beschwerdewege als wirkungslos wahrgenommen werden. Gegenüber der F.A.Z. erklärte er, dass die zunehmende Machtkonzentration bei lokalen Parteisekretären auf Kosten der Entscheidungsbefugnisse lokaler Beamter dazu beitragen könnte, dass Eingaben auf lokaler Ebene weniger Gehör finden und an Wirksamkeit verlieren.
Die Führung in Peking ist sich der angespannten Lage bewusst. Das Zentralkomitee unterstrich die Bedeutung der Wahrung der sozialen Stabilität. Der Begriff „soziale Stabilität“ wird in den staatlichen Medien vermehrt im Kontext mit Äußerungen von Staats- und Parteichef Xi Jinping verwendet, beispielsweise nach einem Vorfall in Guangdong, bei dem ein Mann, unzufrieden mit einem Gerichtsurteil, sein Auto in eine Gruppe von Sportlern lenkte und mehrere Menschen tötete.
Bereits 2021 wies Zhou Shaolai, Vizedekan der Abteilung für öffentliche Verwaltung der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, auf das belastete Verhältnis zwischen Beamten und Bevölkerung hin. Er beschrieb die Überlastung der Beamten an der Basis, die Anweisungen von oben ausführen müssen, ohne Verhandlungsspielraum zu haben. Die Beamten müssen politische Vorgaben erfüllen, ungeachtet der Konsequenzen für den Einzelnen. Die aktuelle Vorgabe in den Provinzen lautet: Sparen.
Das fehlende soziale Sicherheitsnetz in China verstärkt die Auswirkungen der Sparmaßnahmen auf breite Bevölkerungsschichten. Die Staatsausgaben fließen weiterhin vorrangig in die Industrieproduktion und den Aufbau einer „Festungswirtschaft“ im Systemkonflikt mit den USA.
Die wachsende soziale Ungleichheit und die Verzweiflung in Teilen der Bevölkerung führen zu einer Eskalation der Gewalt. Die Angriffe auf Beamte sind ein alarmierendes Symptom dieser Entwicklung und gefährden die Stabilität des Landes.
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