Der mit Spannung erwartete Musterprozess im Fall Wirecard hat am Freitag in München begonnen. Gleich zu Beginn sorgte ein Antrag der Klägerseite für einen Eklat, wie die FAZ berichtet. Die Anwälte stellten die Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts infrage und forderten eine Verweisung an das Landgericht München I oder das Oberlandesgericht München. Sie argumentierten, dass ein schnelleres Verfahren an diesen Gerichten zu erwarten sei. Das Gericht wies den Antrag jedoch zurück und bekräftigte seine Zuständigkeit.
Richterin Andrea Schmidt, Präsidentin des Bayerischen Obersten Landesgerichts, richtete anschließend einen Appell an beide Seiten und empfahl eine gütliche Einigung. Dies weckt Hoffnungen bei den zahlreichen Geschädigten, zumindest einen Teil ihrer Verluste ersetzt zu bekommen. Wie die FAZ weiter ausführt, richten sich die Hoffnungen der Anleger vor allem an die Wirtschaftsprüfung EY. Bei anderen Beklagten wie dem ehemaligen Wirecard-Chef Markus Braun oder dem flüchtigen Ex-Manager Jan Marsalek sehen die Anwälte kaum Möglichkeiten, Entschädigungen zu erhalten.
Das Musterverfahren dient der Klärung von Grundsatzfragen, die für alle Betroffenen relevant sind. Der Musterkläger Kurt Ebert wird von Rechtsanwalt Elmar Vitt und der Kanzlei Mattil & Kollegen vertreten, so die FAZ. Vitt finanziert das Verfahren über seine Firma Jurfin auch für weitere Wirecard-Geschädigte. Die Auswahl des Musterklägers erfolgte aufgrund der Repräsentativität seines Falls und seiner Sachkunde im Finanzbereich. Laut Spiegel Online warten über vier Jahre nach dem Zusammenbruch von Wirecard tausende ehemalige Aktionäre auf Entschädigung.
Wie der Bayerische Rundfunk (BR) berichtet, sind an dem Verfahren Tausende Kläger beteiligt: 8.500 Anleger mit Klagen vor dem Landgericht München, die einen Schadensersatz von 750 Millionen Euro fordern, sowie weitere 19.000 Personen, die sich dem Musterverfahren angeschlossen haben. Die Höhe der Forderungen dieser Gruppe ist unbekannt, dürfte aber in die Milliarden gehen. Ein Kläger, Robert Schuster, hofft laut BR nicht nur auf finanzielle Entschädigung, sondern auch auf Gerechtigkeit.
Im Zentrum des Verfahrens steht die Frage, ob die Wirecard AG und ihre Vorstände falsche Geschäftsberichte vorgelegt haben, insbesondere im Hinblick auf die nicht existenten Milliarden-Guthaben auf Treuhandkonten. Die Rolle der Wirtschaftsprüfer von EY ist ebenfalls entscheidend. Das Gericht muss klären, ob EY bei der Prüfung der Bilanzen vorsätzlich Pflichten verletzt hat. Am ersten Verhandlungstag ging es laut BR jedoch zunächst nur um die Zulässigkeit der im Verfahren zu klärenden Punkte („Feststellungsziele“).
EY weist die Schadensersatzklagen zurück und bewertet sie als unbegründet, so der BR. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) kritisiert die lange Verfahrensdauer und wirft dem Gericht eine schleppende Bearbeitung vor. Das Gericht verweist hingegen auf die Komplexität des Falls. Wie Capital berichtet, findet der Prozess in der ehemaligen Empfangshalle des stillgelegten Münchner Flughafens Riem statt, um den zahlreichen Beteiligten Platz zu bieten.
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