Im Sommer 2024 wurden im Saarland drei Kühltürme und Schornsteine eines ehemaligen Kohlekraftwerks in Ensdorf gesprengt. Die Symbolik war groß: Hier sollten neue Arbeitsplätze entstehen, ein wirtschaftlicher Aufschwung sollte eingeleitet werden. Geplant war die Ansiedelung einer Chipfabrik des US-Unternehmens Wolfspeed. Gemeinsam mit dem Autozulieferer ZF aus Baden-Württemberg wollte man auf dem Gelände, 25 Kilometer nordwestlich von Saarbrücken, eine moderne Produktion für Siliziumkarbid-Wafer aufbauen. Doch daraus wird nun wohl nichts. Wie die F.A.Z. aus Unternehmenskreisen erfuhr, verschiebt Wolfspeed die Pläne auf unbestimmte Zeit. Ob das Unternehmen überhaupt jemals in Ensdorf bauen wird, scheint derzeit unwahrscheinlicher denn je.
Offiziell bestätigen will Wolfspeed den Rückzug von dem Projekt Anfang November, wenn Wolfspeed-Chef Gregg Lowe die aktuellen Geschäftszahlen bekannt gibt. Als Grund für die Entscheidung gilt der stockende Hochlauf der Elektromobilität. Der Markt für Siliziumkarbid-Chips, die vor allem in Wechselrichtern von Elektroautos verbaut werden, entwickelt sich nicht so, wie von Wolfspeed erwartet. Hinzu kommen finanzielle Schwierigkeiten durch technische Probleme in den US-amerikanischen Wolfspeed-Werken. Weder ZF noch die saarländische Landesregierung, die von der Entwicklung überrascht wurde, wollten sich bislang zu den Plänen von Wolfspeed äußern.
Noch im Februar 2023 feierte der damalige Wolfspeed-Chef Gregg Lowe mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der saarländischen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) und ZF-Chef Holger Klein die Ansiedelung im Schatten des gesprengten Kühlturms. Geplant war eine Chipfabrik mit rund 1.000 Mitarbeitern, die mit einem Entwicklungszentrum im Großraum Nürnberg kombiniert werden sollte. Im Austausch zwischen Fabrik und den Entwicklern in Bayern sollten nicht nur die Chips selbst, sondern auch die Produktionsverfahren optimiert werden, weswegen das gesamte Unterfangen im Rahmen der Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse (Important Project of Common European Interest – IPCEI) gefördert werden konnte.
Rund drei Milliarden Euro sollten Fabrik und Entwicklungszentrum kosten. Die Förderung hätte 515 Millionen Euro betragen – der Bund wollte 360 Millionen Euro beisteuern, das Land 155 Millionen Euro. ZF selbst hatte geplant, 170 Millionen Euro in das Projekt zu stecken. Erste Zweifel an Finanzierung und Projekt kamen aber schon im Frühsommer 2024 auf, als Wolfspeed plötzlich mehr Geld verlangte. Zusätzlich zu den zugesagten Subventionen beantragte der Konzern Hilfen aus dem „European Chips Act“. Das Programm, mit dem die EU die Produktion der als wichtige Zukunftstechnologie eingestuften Halbleiter hochfahren will, war allerdings noch gar nicht verabschiedet, als Wolfspeed das Projekt Anfang 2023 vorgestellt hatte. „Ohne Gesamtpaket kein Spatenstich“, hieß es schon damals aus dem Umfeld des Unternehmens.
Das Unternehmen Wolfspeed steht im internationalen Vergleich unter Druck. Während große Chipkonzerne immer wertvoller werden, ist der Wolfspeed-Aktienkurs seit der Ankündigung des Ensdorf-Projektes auf weniger als ein Viertel des Wertes abgestürzt – ein Zeichen dafür, dass Investoren zweifeln, ob und wann das defizitäre Unternehmen Gewinne erwirtschaften kann. Die neuartige Technologie und der Aufbau der Produktion verschlingen Milliarden. Zudem gilt der avisierte Umstieg der Produktion auf 200-Millimeter-Siliziumkarbid-Wafer als technologisch anspruchsvoll. Es sei sinnvoll, die Massenfertigung auszureifen, bevor man in Ensdorf den nächsten Schritt mache.
Auch für ZF hatte das Projekt zuletzt nicht mehr die Priorität, die es noch Anfang 2023 gehabt hatte. Ausgerechnet die ZF-Division, für die die Chips und Power-Module gemeinsam mit Wolfspeed entwickelt werden sollten, steckt in einer schweren Krise. Das Unternehmen prüft eine Ausgliederung der Sparte für Elektromobilität, weil ZF die Industrialisierung der Komponenten in diesem Bereich nicht mehr allein stemmen kann. Außerdem wird ZF bis zum Jahr 2028 die Zahl der Beschäftigten in Deutschland von aktuell 54.000 um 11.000 bis 14.000 reduzieren. Zudem legt der Zulieferer Werke und Produktionen zu Standortverbünden zusammen.
Am ärgsten in Bedrängnis ist ausgerechnet der ZF-Standort Saarbrücken. Die aktuell schwierige Lage in der Autoindustrie hat die Situation der Traditionsfabrik im Saarland, in der etwa 10.000 Menschen arbeiten, noch einmal verschärft. Dort sollen bis zum Ende des kommenden Jahres 1.800 Stellen wegfallen. In dem Werk stellt ZF Automatikgetriebe und Hybridgetriebe für Autos mit Verbrennermotoren her, aber auch Antriebe für Elektrofahrzeuge. Da die Abrufe für diese Komponenten aber seit Längerem weit hinter den Planungen zurückbleiben, die Fertigungslinien nicht ausgelastet sind und die Produktion der Elektromotoren hohe Verluste schreibt, lässt ZF dort vor allem die bestehenden 1.200 befristeten Verträge auslaufen. Zugleich machte die Konzernleitung deutlich, dass bis Ende 2028 im schlimmsten Fall bis zu 4.500 Stellen zur Disposition stehen, falls sich die Auftragslage nicht bessert.
Das wahrscheinliche Aus der Chipfabrik macht die Lage nun noch schwieriger: Denn ZF hatte geplant, einen Teil der Mitarbeiter nach und nach aus dem Getriebewerk an die Chipfabrik zu geben und so die wegen der geringeren Wertschöpfung in der Elektromobilität freiwerdenden Arbeitskräfte nach Ensdorf zu verlagern
Auch für das Saarland ist die Entwicklung ein harter Schlag. Durch die Autoindustrie hatte das Bundesland in den vergangenen Jahrzehnten einen Teil der Strukturbrüche aufgefangen, die durch den Wegfall der Kohleförderung und die Stahlkrise an der Saar entstanden sind. Doch der einstige Hoffnungsträger ist nun selbst zum Problemfall geworden. Der Hersteller Ford will seine Produktion im Saarland schließen, ZF steckt in der Krise.
Vor diesem Hintergrund begrüßt die saarländische Landesregierung jede Neuansiedelung und hätte für das Wolfspeed-Projekt wohl auch noch einmal Gelder freigemacht, wie die Landesregierung der F.A.Z. im Sommer bestätigt hat. Schon zum klimaneutralen Umbau der Stahlindustrie hatte das Saarland aus einem eigens aufgelegten Transformationsfonds 780 Millionen Euro beigesteuert. Der schuldenfinanzierte Fonds ist mit drei Milliarden Euro so groß wie ein halber Jahreshaushalt.
Quelle: F.A.Z.
Wie das Handelsblatt unter Berufung auf Regierungs- und Branchenkreise berichtet, will sich ZF nicht mehr an der geplanten Chipfabrik in Ensdorf beteiligen. Damit steht das 2,75 Milliarden Euro schwere Vorhaben des US-Konzerns Wolfspeed vor dem Aus.
ZF wollte den Bericht auf Nachfrage der Saarbrücker Zeitung zunächst nicht kommentieren. Aus Branchenkreisen war zu erfahren, dass Wolfspeed das Projekt auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt habe, woraufhin sich ZF zurückgezogen habe. Als Juniorpartner alleine könne ZF das Projekt nicht stemmen, heißt es. Eine Handelsblatt-Anfrage bei Wolfspeed blieb zunächst unbeantwortet. Die Zeitung verweist darauf, dass sich Wolfspeed-Vorstandschef Gregg Lowe schon seit Monaten nicht mehr zum Projekt geäußert habe. Ein Bau der Fabrik nach dem ZF-Rückzug sei angesichts der wirtschaftlichen Lage von Wolfspeed nun nicht mehr zu erwarten.
Der Wolfspeed-Aktienkurs war in den vergangenen zwei Jahren um mehr als 90 Prozent eingebrochen. Spätestens seit ZF ebenfalls in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt und einen massiven Stellenabbau unter anderem in Saarbrücken ankündigte, waren Zweifel an der tatsächlichen Realisierung der Chipfabrik aufgekommen.
Quelle: Handelsblatt, Saarbrücker Zeitung