Der ehemalige Deutschlandchef von Goldman Sachs, Jörg Kukies, führt das Bundesfinanzministerium durch den Wahlkampf – eine Aufgabe, die er unerwartet vom zurückgetretenen Christian Lindner übernommen hat. Wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (F.A.S.) berichtet, demonstrierte Kukies vor über drei Jahrzehnten als Juso-Landesvorsitzender in Rheinland-Pfalz gegen die FDP, als Rudolf Scharping nach einem Wahlsieg die Koalition mit den Liberalen der rot-grünen Option vorzog. Diese Episode verdeutlicht die wechselhafte Beziehung Kukies' zur FDP, die nun seinen Aufstieg zum Finanzminister ermöglicht hat.
Kukies' Ernennung zum Finanzminister mag überraschend erscheinen, ist aber angesichts seines Werdegangs durchaus nachvollziehbar. Der 56-Jährige diente bereits zwischen 2018 und 2021 als Staatssekretär im Finanzministerium unter Olaf Scholz und sammelte anschließend als wirtschafts- und europapolitischer Berater im Kanzleramt weitere Erfahrungen. Diese Expertise, gepaart mit seiner Kenntnis der Finanzbranche aus seiner Zeit bei Goldman Sachs, macht ihn zu einer geeigneten Wahl für dieses Amt, zumindest für die Übergangszeit bis zur Regierungsbildung. Wie die F.A.S. berichtet, hatte Scholz sich im Vorfeld des Ampel-Bruchs bereits der Bereitschaft Kukies' versichert, im Falle eines Falles das Finanzministerium zu übernehmen.
Seine Aufgabe besteht darin, die Geschäfte des Ministeriums während des Wahlkampfs reibungslos weiterzuführen und die Finanzierung des Landes trotz fehlender Haushaltsbeschlüsse sicherzustellen. Gleichzeitig steht er als Finanzminister im Zentrum des Wahlkampfs, der sich maßgeblich um Steuer- und Schuldenfragen dreht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Kukies das Finanzministerium auch nach der Wahl dauerhaft leiten wird, sollte die SPD als Juniorpartner der Union in die Regierung eintreten. Dies wäre eine Fortsetzung der Praxis aus den Jahren 2009 und 2018. Im Jahr 2013 verzichtete die SPD auf das Finanzministerium, da ein Putsch gegen den damaligen Amtsinhaber Wolfgang Schäuble als politisch unklug erschien.
Kukies' Vergangenheit als Investmentbanker steht im Kontrast zur aktuellen SPD-Kampagne, die sich teilweise gegen die Finanzbranche richtet, insbesondere gegen den Unionskandidaten Friedrich Merz und dessen frühere Tätigkeit für Blackrock. Kukies selbst hält dieses "Banker-Bashing" für absurd, wie er im Interview mit der F.A.S. betont. Er verweist darauf, dass in vielen anderen Ländern die Arbeit in der Finanzbranche kein Hindernis für eine Karriere in einer Mitte-links-Partei darstellt. Er sieht die Aufgabe der Finanzbranche darin, die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen zu verbessern und verweist auf die schnelleren Wachstumsraten in den USA, die er unter anderem auf besser funktionierende Kapitalmärkte zurückführt.
Kukies plant, auf europäischer Ebene die Kapitalmarktunion voranzutreiben, insbesondere die Verbriefung und die Finanzierung junger innovativer Unternehmen. Er setzt sich zudem für einen Bürokratieabbau und weniger Regulierung ein, Positionen, die er mit seinem französischen Amtskollegen Antoine Armand teilt. Im Umgang mit der Staatsverschuldung in Europa erwartet er keine Änderungen durch den Ministerwechsel.
Die Ernennung Kukies' zum Finanzminister wirft Fragen nach seiner Rolle im Cum-Ex-Skandal auf, in den auch Kanzler Scholz verwickelt war. Wie t-online berichtet, traf sich Kukies 2019 mit dem damaligen Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs und dem Chef der Warburg-Bank, Christian Olearius, zu einem Frühstück. Der Zeitpunkt dieses Treffens fällt zusammen mit dem Kampf der Warburg-Bank um die Rückzahlung hinterzogener Steuern. Der Inhalt des Gesprächs ist nicht vollständig bekannt. t-online berichtet außerdem über Lobbykontakte von Kukies mit Blackrock, der Deutschen Bank und der Commerzbank, die ohne Protokolle stattfanden.
Kukies' Ernennung ist somit nicht unumstritten und wird den Wahlkampf mitprägen. Seine wirtschaftspolitischen Positionen und seine Vergangenheit in der Finanzbranche bieten Angriffsfläche für die Opposition, gleichzeitig profitiert er von seiner engen Beziehung zu Scholz und seiner Erfahrung in der Finanzpolitik.
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