September 20, 2024
Politische Umbrüche in der Türkei: Erdoğans schwindende Unterstützung

Brief aus Istanbul: Der Sultan ist nackt!

In den letzten Monaten hat sich die politische Landschaft in der Türkei dramatisch verändert. Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht sich zunehmend mit Kritik konfrontiert, nicht nur von der Opposition, sondern auch von ehemaligen Unterstützern innerhalb seiner eigenen Partei, der AKP. Die Menschen in der Türkei machen ihn persönlich für die gegenwärtige Misere verantwortlich, was in der Vergangenheit nicht der Fall war. Dies wird besonders deutlich in den jüngsten Wahlen, bei denen die AKP in mehreren großen Städten, einschließlich Istanbul, erhebliche Verluste hinnehmen musste.

Die Wahlen im Jahr 2019, bei denen Erdoğan versuchte, die Ergebnisse durch die Annullierung der Wahl zu beeinflussen, führten letztendlich zu einem noch deutlicheren Sieg des Oppositionskandidaten Ekrem Imamoğlu. Diese Entwicklungen sind Teil eines größeren Trends, der zeigt, dass die Unterstützung für Erdoğan und die AKP schwindet. Die Menschen scheinen zunehmend frustriert über die wirtschaftlichen Bedingungen zu sein, die durch hohe Inflation und steigende Lebenshaltungskosten geprägt sind.

Erdoğan selbst hat in der Vergangenheit betont, dass alle Türken „in einem Boot sitzen“, was darauf hindeutet, dass er die Verantwortung für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht allein auf sich nehmen möchte. Doch die Realität sieht anders aus: Die Menschen in der Türkei sind sich der Schwierigkeiten bewusst und stellen die Effektivität von Erdoğans Regierung infrage. Laut Berichten von Thinktanks, die mit der AKP verbunden sind, wird Erdoğan nicht mehr als unantastbar angesehen. Die Verantwortung für die Probleme des Landes wird zunehmend direkt auf ihn zurückgeführt.

Eine Umfrage, die Anfang des Monats veröffentlicht wurde, zeigt, dass die Zustimmung für den neuen Vorsitzenden der größten Oppositionspartei, Özgür Özel, die von Erdoğan überholt hat. Dies ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Wählerschaft sich von der AKP abwendet und nach Alternativen sucht. Die Opposition hat in den letzten Monaten an Zustimmung gewonnen, was sich in verschiedenen Umfragen widerspiegelt, die einen Abstand von fünf bis dreizehn Prozent zwischen der CHP und der AKP zeigen.

Die wirtschaftliche Lage in der Türkei ist alarmierend. Die Armutsgrenze ist auf das 3,5-Fache des Mindestlohns gestiegen, und die Inflation ist neunmal so hoch wie in anderen OECD-Ländern. Viele Unternehmen haben in der ersten Jahreshälfte 2023 schließen müssen, was zu einem Rückgang des Vertrauens in die Wirtschaft geführt hat. Diese wirtschaftlichen Herausforderungen haben dazu geführt, dass viele junge Menschen die Schule abbrechen, da ihre Familien nicht in der Lage sind, die Kosten für Bildung zu tragen.

Die Zahl der Schulabbrecher hat sich verdoppelt, und laut OECD-Daten ist jeder Dritte im Jugendalter weder in einer Bildungseinrichtung noch in einem Arbeitsverhältnis. Dies stellt eine ernsthafte Bedrohung für die Zukunft der Türkei dar, da eine ganze Generation von jungen Menschen von der Bildung ausgeschlossen wird. Erdoğan hat in seinen öffentlichen Auftritten betont, dass die Zeiten von Verboten und Repressalien vorbei sind, doch die Realität sieht anders aus. Immer mehr Menschen werden wegen ihrer Meinungsäußerungen verfolgt, und die Zahl der gesperrten Websites und verhafteten Jugendlichen nimmt zu.

Die Situation in der Türkei ist komplex und erfordert eine differenzierte Betrachtung. Während Erdoğan versucht, die Kontrolle über die Narrative zu behalten und sich als Opfer darzustellen, wird die Realität von den Menschen vor Ort anders wahrgenommen. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die politische Repression und das wachsende Misstrauen gegenüber der Regierung sind Faktoren, die die Stabilität der türkischen Gesellschaft gefährden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Erdoğan und die AKP vor einer ernsthaften Herausforderung stehen. Die Menschen in der Türkei sind zunehmend unzufrieden mit der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Situation, und die Unterstützung für die Regierung schwindet. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Entwicklungen auf die zukünftige politische Landschaft in der Türkei auswirken werden.

Quellen:

  • https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/brief-aus-istanbul-von-buelent-mumay-der-sultan-ist-nackt-19994659.html
  • https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/erdogan-als-verantwortlicher-fuer-die-misere-in-der-tuerkei-19994659.html
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