September 30, 2024
Der überraschende Aufstieg der FPÖ und die Herausforderungen für die anderen Parteien

Als 2019 das Ibiza-Video bekannt wurde, mit allerlei skandalösen Aussagen, aber auch peinlichen Szenen des damaligen österreichischen Vizekanzlers und FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache, da sagte Bundespräsident Alexander van der Bellen in einer seiner wohlgesetzten Ansprachen: „So sind wir nicht.“ Damals gab es als Folge der Affäre Kladderadatsch: Rücktritte, Ministerentlassung, Misstrauensvotum, Beamtenregierung, Neuwahlen. Die Freiheitlichen stürzten kräftig ab. Aber nur fünfeinhalb Jahre später ist dieselbe FPÖ, nur ohne Strache, wieder in voller Pracht da. Ja, stärker denn je ist die rechte Partei unter Herbert Kickl ins Parlament in Wien gewählt worden. Die FPÖ ist stärkste Kraft. Sind die Österreicher also doch „so“? Wie die FAZ berichtet, stellt sich nach dem Wahlsieg der FPÖ die Frage, ob die anderen Parteien es ihr zu leicht gemacht haben.

Zunächst muss man festhalten, dass Kickl ein ganz anderer Typ ist als Strache. Der Kärntner agierte lange Zeit im Hintergrund der Partei. Er war derjenige, der die Sprüche und Reime erfand, die dann andere in die Schlagzeilen brachten – zumeist unrühmliche, die aber für Aufmerksamkeit sorgten. Kickl ist intellektueller als Strache, nicht jovial, sondern misstrauisch. Es ist unvorstellbar, dass er auf die Oligarchennichte hereingefallen wäre. Andererseits dürften die Bande, die er zu seinen Gefolgsleuten knüpft, schwächer sein. Sie folgen ihm, weil er Erfolg hat – aber auch nur so lange. Von dem schillernden Charisma eines Jörg Haider ist er weit entfernt.

Das Migrationsthema und die Verunsicherung der Wähler

Warum ist Kickl dennoch der Durchbruch gelungen, an dem seine Vorgänger gescheitert sind? Warum konnte er die FPÖ auf Platz eins hieven? In erster Linie profitierte er von einer Themenkonjunktur, die nicht von ungefähr auch in anderen Ländern rechte Parteien begünstigt. Seit einem Jahrzehnt erlebt Europa eine unkontrollierte Massenmigration, die durch ein löchriges Asylsystem begünstigt wird. Der Ansatz, das Thema zu verschweigen, um den Extremen nicht in die Hände zu spielen, ist gescheitert. Es gibt ein Problem. Es ist nicht herbeigeredet. Es lässt sich auch nicht totschweigen. Es muss grundsätzlich angepackt werden. Auch die politische Rechte hat dafür kein Wundermittel, siehe Italien, siehe Österreich unter Türkis-Blau. Aber das heißt ja nicht, dass man die Dinge einfach weiterlaufen lassen sollte.

Zu dieser Konjunktur gehört auch die enorme Verunsicherung, die durch die Krisen der vergangenen Jahre und der Gegenwart entstanden ist – Pandemie, Krieg in Europa, Inflation, Rezession. Dass Regierungen in solchen Zeiten abgestraft werden, ist normal. Auch wenn sie nicht unbedingt für alles verantwortlich sind und vielleicht sogar manches bei der Krisenbewältigung richtig gemacht haben. Aber es sind eben auch Fehler passiert. In Österreich war das zum Beispiel die Impfpflicht, die im Herbst 2021 überstürzt beschlossen und dann doch nicht umgesetzt wurde. Dass das ein Fehler war, ist keine nachträgliche Erkenntnis, sondern wurde schon damals kritisiert.

Gesellschaftliche Themen und die Schwäche der anderen Parteien

Kickl hat mit seiner Fundamentalkritik das Wasser auf die Mühlen der FPÖ gelenkt. Für eine Oppositionspartei ist das zwar grundsätzlich legitim. Aber die Maßlosigkeit, mit der er dabei teilweise vorgeht, ist nicht nur ungerecht. Sie führt auch dazu, dass die anderen politischen Kräfte zu Recht davor warnen, ihm (wieder) Macht zu geben. Radikale Worte muss man ernst nehmen. Zumal Kickl schon als Innenminister gezeigt hat, dass er eher Revolutionär als Reformer ist, wenn er die Möglichkeit dazu hat.

Es sind auch die vermeintlich weichen gesellschaftlichen Themen, die viele Wähler in die Arme extremer Parteien treiben. Die Ideologisierung der Alltagssprache durch das Gendern, die einem in manchen Bereichen – in der akademischen Welt, in öffentlich-rechtlichen Sendern – geradezu aufgezwungen wird, ist so ein Beispiel. Oder auch die Art und Weise, wie Lobbyisten von Minderheiten versuchen, die Ansicht durchzusetzen, dass die heterosexuelle Orientierung nur eine von vielen, gleich verbreiteten sei und über die gebotene Toleranz hinaus offensiv gefördert werden müsse. Wenn Kinder in oder sogar vor der Pubertät genötigt werden, ihre geschlechtliche Identität infrage zu stellen, muss darüber diskutiert werden dürfen. Wenn Vertreter gemäßigter Parteien, die solche Themen ansprechen, niedergeschrien oder verächtlich gemacht werden und die Diskussion darüber dann nur noch von Extremisten geführt wird, denen ohnehin alles egal ist, dann braucht man sich am Wahltag nicht zu wundern.

Bei alldem ist der Erfolg Kickls nicht so gewaltig, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. 26 und 27 Prozent haben auch schon Strache und Haider erreicht. Es ist die Schwäche der anderen Parteien, die die FPÖ auf Platz eins gebracht hat: Der ÖVP, die noch immer an dem Verlust ihres einstigen Hoffnungsträgers Sebastian Kurz und dessen Affären leidet, und der SPÖ, die sich selbst zerfleischt. Dass in Österreich eine Mehrheit Mitte-Rechts wählt, ist seit 40 Jahren so, seit der Charismatiker Bruno Kreisky abgetreten ist.

Quelle: F.A.Z.

Wie der Standard berichtet, konnten die Meinungsforschungsinstitute das Ergebnis der Nationalratswahl ziemlich genau vorhersagen. Die Umfragen hatten zwar die Werte von FPÖ und ÖVP leicht überschätzt und die der Bierpartei überschätzt. Im Durchschnitt wichen die Umfragen der vergangenen 30 Tage für jede Partei aber nur minimal vom tatsächlichen Ergebnis ab.

Laut BR24 hat die FPÖ ihren Wahlerfolg Zugewinnen aus den anderen Parteien zu verdanken. Rund ein Drittel ihrer Stimmen erhielten die Rechtspopulisten von ehemaligen Wählern der konservativen ÖVP: 443.000 Wähler, die noch bei den letzten Nationalratswahlen ihr Kreuz bei der Österreichischen Volkspartei gemacht hatten, wechselten zur FPÖ. Das war laut Aussage des österreichischen Politikexperten Peter Filzmaier der größte Wählerstrom, der je in Österreich berechnet werden konnte.

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