October 4, 2024
Zölle und Protektionismus: Eine Herausforderung für den globalen Handel

Die Erhebung von Zöllen wird oft als ein Eingeständnis der eigenen Schwäche interpretiert. Dieser Gedanke lässt sich, wie Gerald Braunberger in der F.A.Z. schreibt, auch auf die neuen Einfuhrzölle der EU für chinesische Elektroautos anwenden, die trotz des Widerstands der Bundesregierung durchgesetzt wurden. Erfolgreiche und wettbewerbsfähige Industriezweige benötigen keine Zölle, da diese den Wettbewerb verzerren und tendenziell zu höheren Preisen führen. Es ist unwahrscheinlich, dass europäische Verbraucher automatisch zu europäischen Elektroautos greifen, wenn der Zugang zu günstigeren chinesischen Modellen eingeschränkt wird, insbesondere wenn das Preis-Leistungs-Verhältnis der europäischen Fahrzeuge von vielen als unzureichend empfunden wird.

Ohne den Wettbewerbsdruck durch chinesische Hersteller könnten europäische Produzenten weniger Anreize haben, schnell bessere und erschwinglichere Elektroautos zu entwickeln. Die EU, die einerseits den Import preiswerter Elektroautos aus China eindämmen, andererseits aber die Elektrifizierung des Verkehrs vorantreiben will, handelt in sich widersprüchlich.

Hinter den Zöllen auf chinesische Elektroautos steckt jedoch mehr als nur der Schutz der europäischen Automobilindustrie. Es geht um internationale Machtpolitik. Europa hat sich in der Vergangenheit stärker für die Öffnung von Märkten eingesetzt als die USA oder China. Was früher als Beitrag zum Wohlstand galt, wird in Zeiten zunehmender Verflechtung von wirtschaftlicher Globalisierung und Geopolitik in vielen Hauptstädten als Zeichen politischer Naivität interpretiert.

Politiker, die auf die innenpolitischen Herausforderungen des Populismus keine Antworten finden, suchen nach Kompensation auf der globalen Bühne. Früher wurden Protektionisten wegen des Schadens, den sie sich selbst zufügten, belächelt. Heute gilt die Beteiligung am Wettstreit der Protektionisten als Ausdruck von Stärke. In einer Welt, die danach zu streben scheint, wirtschaftlichen Wohlstand so schnell wie möglich zu untergraben, sollte die Bundesregierung weiterhin unbeirrt die Fahne des Freihandels hochhalten, so Braunberger in der F.A.Z..

Die Zunahme des Protektionismus ist ein globales Phänomen. Wie der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Jahresgutachten feststellt, ist eine "schleichende und in den jüngeren Jahren sich beschleunigende Rückkehr protektionistischer Tendenzen" zu beobachten. Dieser Trend zeigt sich in der zunehmenden Bedeutung von Handelshemmnissen wie Zöllen, Zusatzabgaben oder Mengenbeschränkungen. Bis zur Finanzkrise 2008 überwogen die Bemühungen um eine kontinuierliche Liberalisierung des Welthandels. Über Jahrzehnte hinweg gelang es, durch die Senkung des weltweiten Zollniveaus die Globalisierung voranzutreiben. Bis Anfang der 1990er Jahre sank das globale handelsgewichtete Zollniveau auf 12 Prozent und konnte bis vor etwa zehn Jahren auf nur noch etwa 5 Prozent gesenkt werden. Seitdem gibt es keine weiteren Fortschritte – im Gegenteil.

Die Trump-Administration hat mit ihrer protektionistischen Handelspolitik, die sie vor allem gegen China als politische Waffe einsetzte, den schleichenden Wandel deutlich gemacht. Zwischen beiden Ländern hat sich das durchschnittliche Zollniveau von 2017 bis zum März 2020 von damals 3,1 Prozent für US-Importe und 8 Prozent für US-Exporte auf etwa 20 Prozent in beide Richtungen erhöht. Große Freihandels- und Investitionsschutzabkommen wie TTIP zwischen den USA und der EU wurden nach der Finanzkrise nur halbherzig vorangetrieben und waren schon vor der Amtsübernahme des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump ins Stocken geraten.

Doch auch unter dem neuen Präsidenten Joe Biden, der eher globalistisch orientiert ist, ist "nicht mit einem Wechsel zum Freihandel zu rechnen", analysiert das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Das Programm der Demokraten sei "weniger aggressiv als das des [vorherigen] Amtsinhabers, aber ebenfalls stark protektionistisch geprägt." Biden werde Protektionismus nicht mehr wie Trump mit "America First"-Slogans, sondern ähnlich wie bereits unter der Obama-Administration mit "Buy-American-Regeln" vorantreiben.

Die Fokussierung auf Zölle und Handelsquotierungen verschleiert jedoch die seit der Finanzkrise 2008 entstandene Dynamik der sich schon seit den 1970er Jahren kontinuierlich ausbreitenden neuen Formen von Protektionismus der entwickelten Volkswirtschaften. In Europa, den USA und Japan hat man mit intensiverer staatlicher Intervention reagiert, um die seit den 1970er Jahren wieder aufkommenden wirtschaftlichen Krisen einzudämmen. So gelang es, protektionistische Maßnahmen zum Schutz der inländischen Wirtschaft zu bemänteln. Zudem gelang es, kriselnden Unternehmen wirtschaftliche Unterstützung zu gewähren, ohne auf die nach der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren in die Kritik geratenen Mittel wie Zölle zurückgreifen zu müssen.

Die heute gängige Bewertung protektionistischer Trends aufgrund des Zollniveaus hat dazu beigetragen, dass die protektionistische Dynamik krass unterschätzt wird. Viel zu lange schon hielten die G20-Länder die "diplomatische Fiktion aufrecht", Protektionismus sei gebändigt, schreibt die auf das Monitoring des Welthandels spezialisierte Organisation Global Trade Alert (GTA). Die Regierungen, so die Autoren einer GTA-Studie, "haben ihre Aktivitäten nur auf andere Politikfelder verschoben". Importzölle waren 2016 nur noch für weniger als zehn Prozent der Handelsverzerrungen verantwortlich, denn "staatliche Finanzhilfen, nicht Importbeschränkungen" sind das Haupt-Tätigkeitsfeld zur Protektion der heimischen Wirtschaft.

Die bloße Existenz der Welthandelsorganisation (WTO), die von den Mitgliedsstaaten zur Regelung von Handels- und Wirtschaftsbeziehungen autorisiert ist, hat zur Absenkung des globalen Zollniveaus beigetragen. Daher hat sich der zunehmende Protektionismus in einer veränderten Form sogenannter "nicht tarifärer Handelshemmnisse" und weitgehend unter dem öffentlichen Radar durchgesetzt. Die modernste Form des Protektionismus bilden Maßnahmen, die direkt die inländische Wirtschaft betreffen, also "hinter der Grenze" wirken. Dazu gehören technische und Produkt-Standards, Klima-, Umweltschutz- sowie Gesundheits- und Sicherheitsregulierungen, der Schutz vor ausländischen Übernahmen, Steuern oder Abgaben für ausländische Unternehmen und vor allem Subventionen (also Finanzhilfen und Steuererleichterungen) für inländische Unternehmen.

Es wäre verfehlt, die Verantwortung für den zunehmenden Protektionismus bei der US-Administration oder bei der kommunistischen Führung in China zu suchen, sagt der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr. Auch die EU betreibe "zunehmend eine Wirtschaftspolitik, die zulasten von Drittstaaten" gehe. Tatsächlich lässt der französische EU-Industrie- und Binnenmarktkommissar Thierry Breton kaum eine Gelegenheit aus um klarzumachen, dass nicht der Wettbewerb geschützt werden müsse, sondern europäische Unternehmen vor diesem. So gehe es nicht um niedrige Preise für die Verbraucher, sondern um den Schutz der Unternehmen, was er mit Forderungen für mehr "Beschäftigung, Fortschritt und Souveränität" verklausuliert. Über Twitter erklärte er, die von der EU aufgenommenen Schulden für das 750-Milliarden-Wiederaufbauprogramm sollten durch zusätzliche Steuern an den Außengrenzen des Binnenmarktes finanziert werden.

Lars Feld, ehemaliger Vorsitzender des Sachverständigenrats warnt vor der Vorstellung, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union durch den Schutz vor Wettbewerb gesteigert werden könne. "Wir sehen in der EU unter deutsch-französischer Führung einen Paradigmenwechsel. Wir sehen einen zunehmenden Protektionismus, der den Wettbewerb schwächt." Die Bundesregierung gebe regelmäßig Lippenbekenntnisse für Multilateralismus und Freihandel ab, doch man nutze "Corona als Vorwand für neue Exportkontrollen, verschärft die Außenwirtschaftsordnung und fährt die Subventionen für krisengeplagte Unternehmen in die Höhe", kritisiert Felbermayr. Genau in diese Richtung wirkt die von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier 2019 vorgestellte "Nationale Industriestrategie", die zwar als "umfassendes Konzept zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie" propagiert wird, tatsächlich jedoch die Lockerung der EU-Subventionsregeln zum Programm macht, Großunternehmen unter staatliche Protektion stellt und marktbeherrschende "nationale Champions" fordert, um den Wettbewerb auszuschalten.

Die Wirtschaft steht dieser Entwicklung ambivalent gegenüber. Einerseits sind die Unternehmen auf möglichst große Märkte und ausgefeilte Lieferketten angewiesen, um durch niedrige Kosten wettbewerbsfähig zu bleiben. Andererseits ist die große Masse der Unternehmen diesseits und jenseits des Atlantiks inzwischen in erheblichem Maß von staatlicher Protektion abhängig, um wettbewerbsfähig zu überleben.

Die negativen Auswirkungen von Protektionismus auf die Weltwirtschaft sind vielfältig. Protektionismus führt zu:

  • Höheren Preisen für Verbraucher: Wenn Importe durch Zölle oder andere Maßnahmen verteuert werden, steigen die Preise für die Konsumenten. Dies trifft insbesondere ärmere Haushalte, die einen größeren Teil ihres Einkommens für Konsumgüter ausgeben.
  • Eingeschränkter Auswahl für Verbraucher: Durch Importbeschränkungen wird die Auswahl an Gütern und Dienstleistungen für die Verbraucher reduziert. Dies kann zu einem Rückgang der Innovation und zu einem geringeren Wohlstand führen.
  • Ineffizienter Ressourcenallokation: Protektionismus führt dazu, dass Ressourcen in weniger effiziente Industrien fließen. Dies liegt daran, dass Unternehmen, die durch Zölle oder andere Maßnahmen geschützt sind, keinen Anreiz haben, effizienter zu produzieren.
  • Vergeltungsmaßnahmen anderer Länder: Wenn ein Land protektionistische Maßnahmen ergreift, ist es wahrscheinlich, dass andere Länder mit Gegenmaßnahmen reagieren. Dies kann zu einem Handelskrieg führen, der für alle beteiligten Länder negative Folgen hat.

Die WTO spielt eine wichtige Rolle bei der Eindämmung des Protektionismus. Die Organisation hat Regeln aufgestellt, die den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten regeln und Streitigkeiten beilegen. Die WTO hat in den vergangenen Jahrzehnten dazu beigetragen, das globale Zollniveau zu senken und den Handel zu liberalisieren. Allerdings ist die WTO in den letzten Jahren zunehmend unter Druck geraten. Die USA haben unter Präsident Trump die WTO blockiert und neue Zölle auf Importe aus China und anderen Ländern erhoben. Auch andere Länder haben protektionistische Maßnahmen ergriffen. Die Zukunft der WTO ist ungewiss. Es ist jedoch wichtig, dass die WTO gestärkt wird und ihre Rolle bei der Regelung des Welthandels wahrnehmen kann.

Die Bundesregierung sollte sich für eine Stärkung der WTO und für eine Liberalisierung des Welthandels einsetzen. Deutschland ist eine exportorientierte Volkswirtschaft und profitiert stark vom Freihandel. Die Bundesregierung sollte sich auch gegen protektionistische Maßnahmen anderer Länder zur Wehr setzen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Weltwirtschaft auch in Zukunft wachsen und Wohlstand für alle schaffen kann.

Quellen:

  • https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eu-zoelle-auf-chinas-e-autos-sind-ein-zeichen-der-schwaeche-110026407.html
  • https://www.ipg-journal.de/rubriken/wirtschaft-und-oekologie/artikel/protektionismus-5119/
  • https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2021/heft/11/beitrag/protektionismus-und-abschottungstendenzen-bremsen-und-veraendern-die-globalisierung.html
  • https://www.gtai.de/de/trade/welt/specials/zunehmender-protektionismus-wirkt-sich-auf-unternehmen-aus-971362
  • https://blog.de.erste-am.com/das-neue-zeitalter-des-protektionismus/
  • https://www.project-syndicate.org/commentary/update-wto-arrangements-to-address-grievances-chinese-practices-restore-rule-based-trade-by-anne-o-krueger-2024-06/german
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