18.10.2024
Arthropleura: Einblicke in das Leben eines Urzeitriesen

Wenn Insekten, Spinnen oder andere terrestrische Gliedertiere zu groß werden, ist die Schwelle zum Ekel schnell überschritten – oder die zur Faszination. Daher darf Arthropleura in keinem Dokumentarfilm über das Erdaltertum fehlen. Das Geschöpf, dessen griechischer Name so viel wie „Gelenkrippen“ bedeutet, krabbelte vor 346 bis 290 Millionen Jahren, in den Erdzeitaltern Karbon und früher Perm, durch die Schachtelhalmwälder, wie die F.A.Z. berichtet. Arthropleura erreichte dabei die lineare Ausdehnung eines Grizzlys. Im Jahr 2021 wurden 326 Millionen Jahre alte Fossilfunde aus Nordengland veröffentlicht, die auf ein 55 Zentimeter breites, 2,63 Meter langes und etwa 50 Kilogramm schweres Exemplar schließen lassen. Damit entthronte die Spezies Arthropleura armata knapp den 2007 beschriebenen 2,5 Meter langen Seeskorpion Jaekelopterus rhenaniae aus dem frühen Devon als das größte bekannte Gliedertier der Erdgeschichte.

Allerdings, sehr viel weiß man über das gigantische Ungeziefer aus der Kohlezeit nicht. Denn bisher verrieten Arthropleura-Fossilien nur Teile seiner Anatomie – und stets fehlte der diagnostisch wichtige Kopf. Zudem sind es meist keine Versteinerungen der Tiere selbst, sondern die von bei ihren Häutungen zurückgelassenen Hüllen, sogenannter Exuviae.

Nun wurden in 305 Millionen Jahre alten Schichten aus Montceau-les-Mines in Frankreich Fossilien zwar noch junger, längst nicht ausgewachsener, aber einigermaßen vollständig erhaltener Individuen dieser Tiergruppe gefunden. Paläobiologen um Mickaël Lhéritier von der Universität Lyon haben sie mit hochauflösender Computertomographie untersucht und die Ergebnisse in „Science Advances“ veröffentlicht.

„Das sind keine Exuviae, sondern wirklich Kadaver der Tiere“, sagt Lhéritier. „Was erklärt, warum sich hier Kopf und Gliedmaßen erhalten haben.“ Damit weiß man nun, dass Arthropleura Stielaugen hatte und Antennen mit sieben Segmenten, vor allem aber, wohin im Stammbaum der Gliedertiere diese Wesen gehören. In der Vergangenheit waren sie schon mit den Krebsen, den Seeskorpionen und sogar den Trilobiten in Verbindung gebracht worden. Seit dem Jahr 2000 sind sich die Forscher immerhin einig, hier Vertreter vom Unterstamm der Tausendfüßer, der Myriapoda, vor sich zu haben.

Lhéritier und Kollegen können das nun präzisieren: Demnach ist Arthropleura näher mit den „Doppelfüßer“ genannten Tausendfüßern im engeren Sinne verwandt als mit der Myriapoda-Klasse der Hundertfüßer. Beide Namen sind übrigens nicht wörtlich zu nehmen. Nach den Befunden aus Frankreich kroch Arthropleura auf etwa achtzig Füßen einher.

Klarheit könnten neue Arthropleura-Funde aus dem französischen Montceau-les-Mines, zwei Autostunden nördlich von Lyon, bringen. Es handelt sich bei ihnen um mehrere Jungtiere, deren Köpfe zwar immer noch nicht komplett, aber immerhin mit zahlreichen Details wie den Mundwerkzeugen erhalten sind. Um mehr über die Kopfanatomie dieser Giganten unter den Arthropoden zu erfahren, haben Mickaël Lhéritier von der Universität Lyon I und seine Kollegen zwei Fossilien mit einem Mikro-Computertomographen untersucht, wie Scinexx berichtet.

Das Ergebnis: Arthropleura besaß offenbar einst seitliche Stielaugen, die aber anders als bei Fliegen oder Libellen keine Facettenaugen waren. Außerdem stellte sich im Zuge der Scans heraus, dass die Fühler des Urzeitriesen aus sieben Segmenten bestanden und dass die Mundwerkzeuge zangenartig geformt waren. Zum Fangen von Beutetieren waren diese aber wahrscheinlich genauso wenig geeignet wie die anderen Körperanhängsel des Gliederfüßers.

Die Paläontologen gehen stattdessen davon aus, dass sich Arthropleura von Detritus, also von toter organischer Materie wie Laubstreu und Aas, ernährte. Dafür spricht auch, dass der Riesentausendfüßer aufgrund seiner Körpersegmentierung und verhältnismäßig kurzen Beine wahrscheinlich eher gemächlich unterwegs war und damit nicht gerade als aktiver Jäger taugte.

Die Fossilien verraten aber nicht nur mehr über den Speiseplan von Arthropleura, sondern auch über seinen Lebenszyklus: „Bei beiden Exemplaren sind die hinteren Rückenplatten und Beinpaare kleiner als ihre vorderen Gegenstücke, vermutlich weil sie sich noch in der Entwicklung befinden. Dies deutet darauf hin, dass Arthropleura bei jeder Häutung Segmente und Beinpaare hinzugewonnen hat.“

Ungewöhnlich auch: Arthropleura vereint in seinem Kopf anatomische Merkmale von zwei verschiedenen Gliederfüßer-Gruppen, die bis vor kurzem noch als entfernte Verwandte galten – von Hundertfüßern und von Tausendfüßern. Anders als die Namen vermuten lassen, unterscheidet beide nicht etwa die Anzahl ihrer Beine, sondern der Grundaufbau ihrer Anatomie. So haben Tausendfüßer zum Beispiel einen eher rundlichen Körper mit zwei Beinpaaren pro Körpersegment, während Hundertfüßer flacher sind und nur ein Beinpaar pro Segment besitzen.

Auch die Köpfe von Tausend- und Hundertfüßern sind anders aufgebaut, wobei Arthropleura Elemente beider Gruppen besitzt. Das deutet darauf hin, dass er entweder bereits zu den primitiven Tausendfüßern gehörte oder zu einer Stammgruppe, aus der später sowohl Hundert- als auch Tausendfüßer hervorgegangen sind.

Quelle: F.A.Z.

https://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/im-erdaltertum-lebte-ein-gliedertier-vom-ausmass-eines-grizzlybaeren-110046897.html

Quelle: Scinexx

https://www.bundle.app/de/technologie/ein-kopf-fur-den-grossten-gliederfusser-aller-zeiten-739902c3-3311-492f-bbb2-bdad3fe2ebfb

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