19.10.2024
Erste Aussage: Dritter Angeklagter im Wirecard-Prozess will Schweigen brechen

Erste Aussage: Wirecard-Prozess: Dritter Angeklagter will Schweigen brechen

Die erste Aussage des dritten Angeklagten im Wirecard-Prozess wird mit Spannung erwartet. (Symbolbild) Foto: Peter Kneffel/dpa

Im Wirecard-Prozess steht seit Beginn die Aussage von Ex-Konzernchef Braun gegen die Aussage des Kronzeugen. Auch deswegen wird die erste Äußerung des dritten Angeklagten mit Spannung erwartet.

Eineinhalb Jahre nach Beginn des Wirecard-Prozesses will der bislang schweigsame frühere Chefbuchhalter des Konzerns sich heute erstmals zu den Anklagevorwürfen äußern. Für die Aussage des Managers plant das Landgericht München I zwei Tage ein. Die Kammer stellte dem Bilanzfachmann für den Fall eines umfassenden Geständnisses im größten deutschen Betrugsfall seit 1945 einen Deal mit sechs bis acht Jahren Haft in Aussicht. Doch ist unklar, ob ein solch umfassendes Geständnis zu erwarten ist: Laut Verteidigung will der 49-Jährige "seine Sicht" der Dinge darlegen.

Der frühere Chefbuchhalter E. sitzt seit Dezember 2022 gemeinsam mit dem früheren Wirecard-Vorstandschef Markus Braun und dem ehedem in Dubai für Wirecard tätigen Manager Oliver Bellenhaus auf der Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft wirft den drei Angeklagten vor, eine kriminelle Betrügerbande gebildet zu haben.

Gemeinsam sollen sie mit weiteren Komplizen Scheingeschäfte in Milliardenhöhe erfunden haben, um den eigentlich defizitären und hoch verschuldeten Dax-Konzern über Wasser zu halten. Laut Anklage belief sich der Schaden auf gut drei Milliarden Euro. Braun bestreitet alle Vorwürfe, der als Kronzeuge auftretende Bellenhaus hingegen legte ein weitgehendes Geständnis ab. Auch insofern kommt der Aussage des dritten Angeklagten große Bedeutung zu.

Die Kammer stellte dem Bilanzfachmann für den Fall eines umfassenden Geständnisses im größten deutschen Betrugsfall seit 1945 einen Deal mit sechs bis acht Jahren Haft in Aussicht. Doch ist unklar, ob ein solch umfassendes Geständnis zu erwarten ist: Laut Verteidigung will der 49-Jährige "seine Sicht" der Dinge darlegen.

Der Vorsitzende Richter Markus Födisch hat in den vergangenen Wochen jedenfalls mehrfach deutlich gemacht, dass er ein weitgehendes Geständnis E.s erwartet. Richter, E.s Verteidiger und Staatsanwaltschaft hatten in den vergangenen Wochen bereits zwei Rechtsgespräche über einen möglichen Deal geführt, Ergebnis war der von Födisch genannte Strafrahmen.

Es kann eine Zäsur im Wirecard-Prozess werden: Bisher hat nur einer von drei Angeklagten gestanden, Ex-Vorstandschef Braun alles zurückgewiesen. Nun kommt Bewegung in das Verfahren.

Der ehemalige Chefbuchhalter des 2020 kollabierten Dax-Konzerns hatte zum Prozessauftakt seine Personalien bestätigt, ansonsten aber im bisherigen Verlauf des Mammutverfahrens kein Wort zur Sache gesagt. Die IV. Strafkammer des Münchner Landgerichts unter Födischs Leitung hat E. im Gegenzug für ein Geständnis eine Haftstrafe zwischen sechs und acht Jahren in Aussicht gestellt. Nun will E. sehr ausführlich aussagen: Für seine Einvernahme plant die Kammer zwei Tage ein.

Inwieweit der frühere Chefbuchhalter in seiner Stellungnahme Anklagevorwürfe einräumen oder zurückweisen will, ist noch nicht klar. "Unser Mandant hat sich dafür entschieden, zur Aufklärung des Sachverhalts beizutragen", sagte Verteidigerin Sabine Stetter. Er werde "seine Sicht der Dinge" schildern, und sei bereit, Fragen des Gerichts und der übrigen Verfahrensbeteiligten zu beantworten.

Hauptanklagepunkt gegen E., den früheren Wirecard-Vorstandschef Markus Braun und den bis 2020 in Dubai für Wirecard tätigen Manager Oliver Bellenhaus ist gewerbsmäßiger Bandenbetrug: Die drei sollen gemeinsam mit etlichen Komplizen Milliardenumsätze erfunden haben, um ihr eigentlich defizitäres Unternehmen über Wasser zu halten.

Den Betrugsschaden beziffert die Münchner Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage auf gut drei Milliarden Euro. Bisher steht Aussage gegen Aussage: Der seit vier Jahren in Untersuchungshaft sitzende Braun als Hauptangeklagter weist eisern sämtliche Vorwürfe zurück. Bellenhaus hingegen hat den Großteil der Anklage eingeräumt und Braun schwer beschuldigt. Der österreichische Manager wiederum hat seinerseits Bellenhaus über seine Verteidiger mehrfach der Lüge bezichtigt.

Aussage könnte Folgen für Brauns Schicksal haben

Auch Braun bestreitet nicht, dass bei Wirecard-Konzern in ganz großem Stil betrogen wurde, die wahren Täter sollen jedoch andere gewesen sein. Braun zufolge sollen der seit Sommer 2020 untergetauchte frühere Vertriebsvorstand Jan Marsalek und Bellenhaus Milliardenerlöse des Konzerns in die eigenen Taschen verschoben haben, ohne dass der Vorstandschef davon etwas ahnte oder gar daran beteiligt war.

Somit kommt E.s Aussage große Bedeutung auch für das Schicksal Brauns zu: Räumt der Buchhalter in größerem Umfang Anklagevorwürfe ein, würde das die Lage des 54-Jährigen im Prozess verschlechtern. Sollte E. jedoch wesentliche Teile der Anklage zurückweisen, könnte das Brauns Argumentation stützen.

Vorsitzender Richter erwartet weitgehendes Geständnis von E.

Der bisherige Prozessverlauf deutet nicht darauf, dass die Kammer Brauns Argumentation glaubt: Er sitzt als einziger Angeklagter nach wie vor in Untersuchungshaft, während der als Kronzeuge der Staatsanwaltschaft auftretende Bellenhaus im Februar unter Auflagen auf freien Fuß kam. E. war schon Monate vor Prozessbeginn aus der Untersuchungshaft entlassen worden.

Der Vorsitzende Födisch hat in den vergangenen Wochen jedenfalls mehrfach deutlich gemacht, dass er ein weitgehendes Geständnis E.s erwartet. Richter, E.s Verteidiger und Staatsanwaltschaft hatten in den vergangenen Wochen bereits zwei Rechtsgespräche über einen möglichen Deal geführt, Ergebnis war der von Födisch genannte Strafrahmen.

Weitere
Artikel