19.10.2024
Finanzierung der Ukrainehilfe: Herausforderungen und Perspektiven für Deutschland und die EU

Russisches Geld für Ukraine: Olaf Scholz und der „ungedeckte Wechsel“

Die Bundesregierung plant, die Unterstützung für die Ukraine vollständig aus den Erträgen von eingefrorenem russischem Vermögen zu finanzieren. Dies wurde auf dem G-7-Gipfel im Juni vereinbart, wo ein 50-Milliarden-Dollar-Kredit für die Ukraine in Aussicht gestellt wurde. Bundeskanzler Olaf Scholz hat betont, dass die politischen Aspekte der Vereinbarung geklärt seien und nur noch technische Fragen zu lösen bleiben. Allerdings gibt es erhebliche Zweifel an der Umsetzbarkeit dieses Plans, sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene.

Johann Wadephul, stellvertretender Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, kritisierte die Regierung und bezeichnete die Strategie als „ungedeckte Wechsel“. Er wies darauf hin, dass niemand garantieren könne, dass die Erträge aus dem eingefrorenen russischen Vermögen tatsächlich zur Verfügung stehen werden. Gunther Krichbaum, der europapolitische Sprecher der Fraktion, nannte es „unverantwortlich“, sich bei der Finanzierung zukünftiger Hilfen für die Ukraine ausschließlich auf diese Mittel zu verlassen.

Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses und Mitglied der SPD, äußerte ebenfalls Bedenken. Er betonte, dass unklar sei, wann und in welchem Umfang diese Mittel tatsächlich verfügbar sein werden. Roth plädierte dafür, dass die Einnahmen aus russischem Vermögen nicht anstelle, sondern zusätzlich zur bisherigen bilateralen Militärhilfe fließen sollten. Robin Wagener von den Grünen forderte ebenfalls, dass Deutschland seiner Verantwortung für die Ukraine auf die bisherige Weise gerecht werden müsse, solange keine endgültige Einigung über den Umgang mit den eingefrorenen Mitteln erzielt worden sei.

Die Bedenken sind nicht nur auf nationaler Ebene zu finden. Auch in Brüssel gibt es erhebliche Sorgen. David McAllister, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, erklärte, dass die „Implementierung“ des Plans rechtlich und technisch schwierig sei. Es sei fraglich, ob die zugesagten Finanzhilfen noch in diesem Jahr bereitgestellt werden könnten. Josep Borrell, der EU-Außenbeauftragte, warnte vor den Folgen eines möglichen Scheiterns und bezeichnete eine Verringerung der deutschen Unterstützung als „sehr besorgniserregend“.

Die Diskussion über die Finanzierung der deutschen Ukrainehilfe wurde angestoßen, nachdem bekannt wurde, dass Berlin nur noch die bereits zugesagten Hilfen leisten wollte und für zukünftige Militärhilfe auf die Zinserträge aus dem russischen Geld setzen wollte. Scholz kann sich jedoch auf die politische Einigung stützen, die auf dem G-7-Gipfel erzielt wurde, wo beschlossen wurde, einen Teil der 260 Milliarden Euro aus den Geldern der russischen Zentralbank für die Ukraine nutzbar zu machen.

Technische Fragen sind in diesem Kontext jedoch grundlegend. Das russische Vermögen selbst bleibt unangetastet, aber es wird angestrebt, die Kapitalerträge aus einem Teil davon, der 173 Milliarden Euro umfasst und vom belgischen Institut Euroclear gehalten wird, über viele Jahre abzuschöpfen. Die Höhe der Erträge hängt von der Marktlage ab, wobei drei Milliarden Euro pro Jahr als realistisch gelten. Diese Erträge sollen dann genutzt werden, um die Kredite für die Ukraine zu decken.

Ein zentrales Problem ist die Aufteilung der finanziellen Lasten. Es gibt Überlegungen, dass die EU und die USA jeweils 20 Milliarden Dollar übernehmen, während Japan, Großbritannien und Kanada die restlichen 10 Milliarden unter sich aufteilen. Ein weiteres Hindernis ist, dass die russischen Zentralbankguthaben bei Euroclear durch einen EU-Beschluss eingefroren sind, der alle sechs Monate erneuert werden muss. Sollte nicht jedes halbe Jahr eine Zustimmung aller 27 EU-Mitglieder zur Verlängerung erfolgen, würden die Sanktionen gegen Russland aufgehoben und die eingefrorenen Gelder wären wieder zugänglich.

Die Möglichkeit, dass Regierungschefs wie Viktor Orbán aus Ungarn oder Robert Fico aus der Slowakei mit einem Nein die gesamte Finanzierung blockieren könnten, sorgt für zusätzliche Unsicherheit. Die USA und Großbritannien fordern daher, dass die EU ihre Regeln ändert, um das Risiko durch die Befristung der Sanktionen zu beseitigen. Die deutsche Regierung ist sich dieser Herausforderungen bewusst und hat in einem internen Bericht klargestellt, dass die G-7-Partner nur dann an dem Projekt teilnehmen werden, wenn rechtliche Zusicherungen gegeben werden, dass die Erträge aus russischem Vermögen langfristig zur Verfügung stehen.

Die Sorgen der G-7-Staaten sind nachvollziehbar, da sie sonst ihre Parlamente in den Entscheidungsprozess einbeziehen müssten, bevor sie Kredite an die Ukraine vergeben können. Ein theoretisches Risiko eines Zahlungsabbruchs alle sechs Monate würde die Abhängigkeit von Ländern wie Ungarn erhöhen. In Washington könnte es zudem schwierig sein, inmitten des Wahlkampfes die Zustimmung des Kongresses zu erhalten, insbesondere da die Republikaner im Repräsentantenhaus bereits ein Unterstützungspaket für die Ukraine blockiert haben.

Die Debatte darüber, wie die EU den USA diese Sorgen nehmen kann, ist bereits im Gange. Kurz vor der Sommerpause hat die EU-Kommission ein Diskussionspapier vorgelegt, das zwei Optionen enthält. Die erste Option sieht vor, das russische Zentralbankgeld unbegrenzt einzufrieren, wobei die Aufhebung an das Ende der russischen Aggression und an Kompensationszahlungen geknüpft wäre. Die zweite Option würde das Vermögen für einen bestimmten Zeitraum immobilisieren, wobei von 18, 24 oder 36 Monaten die Rede ist. Die Kommission zeigt sich optimistisch, dass auf dieser Basis eine Lösung gefunden werden kann.

Die Diskussion über die Finanzierung der Ukrainehilfe bleibt jedoch komplex und herausfordernd. Die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen müssen geklärt werden, um sicherzustellen, dass die Unterstützung für die Ukraine nicht gefährdet wird. Die kommenden Monate werden entscheidend sein, um zu sehen, ob die Bundesregierung und ihre Partner in der Lage sind, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um die finanzielle Unterstützung für die Ukraine aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die Risiken zu minimieren.

Die Herausforderungen, vor denen die Bundesregierung steht, sind nicht nur finanzieller Natur, sondern auch politischer. Es bleibt abzuwarten, ob Olaf Scholz und seine Regierung in der Lage sind, die notwendigen Kompromisse zu finden, um die Unterstützung für die Ukraine zu sichern und gleichzeitig die Bedenken innerhalb der eigenen Reihen und auf europäischer Ebene auszuräumen.

Die Zukunft der ukrainischen Unterstützung durch Deutschland und die EU hängt von der Fähigkeit ab, diese komplexen Fragen zu klären und eine tragfähige Lösung zu finden, die sowohl den politischen als auch den rechtlichen Anforderungen gerecht wird.

Quellen:

  • Frankfurter Allgemeine Zeitung
  • Der Standard
  • dpa
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