18.10.2024
Urteil im Prozess um Veröffentlichung von Gerichtsdokumenten erwartet

Im Prozess gegen den Journalisten und Aktivisten Arne Semsrott wird heute das Urteil erwartet. Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtet, stehen zunächst (9.30 Uhr) noch die Plädoyers der Verteidigung vor dem Landgericht Berlin an. Die Staatsanwaltschaft hat eine Geldstrafe von 2.000 Euro (40 Tagessätze je 50 Euro) beantragt für den Chefredakteur des Internetportals „FragDenStaat“.

Der 36-Jährige hat im Prozess eingeräumt, drei Beschlüsse des Amtsgerichts München ins Netz gestellt zu haben zu einem laufenden Ermittlungsverfahren gegen die Klimagruppe Letzte Generation - im Wissen, dass dies laut Gesetz verboten ist. Semsrott geht es nach eigenen Angaben um die Klärung einer grundsätzlichen Rechtsfrage. 

Laut Anklage hat der Journalist gegen den Paragrafen 353d im Strafgesetzbuch (Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen) verstoßen. Danach ist eine wortgetreue Veröffentlichung von Ermittlungsakten und Gerichtsentscheidungen aus laufenden Verfahren nicht zulässig. Wegen der besonderen Bedeutung der Rechtsfrage im Hinblick auf die Pressefreiheit hat die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage beim Landgericht und nicht beim eigentlich zuständigen Amtsgericht erhoben.

Der Journalist und Aktivist Arne Semsrott muss sich seit Mittwoch vor dem Landgericht Berlin verantworten, weil er Dokumente aus einem laufenden Ermittlungsverfahren gegen die Klimaschutzgruppe "Letzte Generation" veröffentlicht hat. Das berichtet rbb24.

Es handelt sich dabei um drei - zum Teil geschwärzte - Entscheidungen des Amtsgerichts München, die im August 2023 beim Internetportal "FragDenStaat" veröffentlicht wurden und bis heute dort abrufbar sind.

„Ich gebe zu, dass ich die Beschlüsse veröffentlicht habe“, sagte der Chefredakteur des Internetportals, das sich für staatliche Transparenz einsetzt, zu Prozessbeginn. Ihm sei dabei bewusst gewesen, dass es den Paragrafen § 353d im Strafgesetzbuch (Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen) gebe. Danach ist eine wortgetreue Veröffentlichung von Ermittlungsakten und Gerichtsentscheidungen aus laufenden Ermittlungsverfahren nicht zulässig. Das Gesetz droht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe an.

„Dieses Risiko nehme ich in Kauf“, sagte Semsrott am Rande der Verhandlung. Die bestehende Gesetzeslage stelle eine Einschränkung der Pressefreiheit dar, die verfassungswidrig sei. In Zeiten von Fake News seien Originalquellen für eine fundierte Diskussion umso wichtiger. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt den 36-Jährigen in dem Fall.

Wegen der besonderen Bedeutung der Rechtsfrage im Hinblick auf die Pressefreiheit hat die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage beim Landgericht und nicht beim eigentlich zuständigen Amtsgericht erhoben.

Der Verteidiger des Journalisten beantragte, das Verfahren vor dem Landgericht Berlin auszusetzen und den Fall dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorzulegen. Die bestehende Gesetzeslage verstoße gegen die Presse- und Wissenschaftsfreiheit, so der Anwalt. Die Vorschrift sei nicht mehr zeitgemäß angesichts der Entwicklung der Medienlandschaft.

Bislang haben die Karlsruher Richter jedoch anders entschieden. Der Gedanke hinter der Strafnorm ist, dass Zeuginnen und Zeugen sowie Laienrichter vor einem Prozess nicht beeinflusst werden sollen durch vorläufige Ermittlungsergebnisse.

Das Gericht hat zunächst zwei Prozesstage geplant. Ein Urteil könnte demnach an diesem Freitag (18. Oktober) gesprochen werden, wie der Vorsitzende Richter Bo Meyer sagte. Die Staatsanwaltschaft wird voraussichtlich heute noch ihr Plädoyer halten.

So oder so wird der Fall die Justiz voraussichtlich noch länger beschäftigen: Sollte das Landgericht den Fall nicht Karlsruhe vorlegen, sondern Semsrott verurteilen, will der Journalist alle Rechtsmittel ausschöpfen, um den Fall vor das höchste deutsche Gericht zu bringen.

Im Prozess gegen den Chefredakteur des Internetportals "FragDenStaat", Arne Semsrott, wegen der Veröffentlichung von Gerichtsbeschlüssen in einem laufenden Verfahren hat die Verteidigung eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gefordert. Zum Prozessauftakt am Mittwoch vor dem Berliner Landgericht forderten die Anwälte Semsrotts die Aussetzung des Verfahrens bis zu einer Entscheidung aus Karlsruhe. Eine Entscheidung der Kammer am Landgericht unter Vorsitz von Bo Meyer wird für Freitag erwartet. (AZ: (536 KLs) 237 Js 3347/23 (1/24), berichtet das Sonntagsblatt.

Nach Ansicht von Rechtsanwalt Lukas Theune verstößt die entsprechende Strafnorm des Paragrafen 353d Ziffer 3 unter anderem gegen die Grundrechte der Medien- und Wissenschaftsfreiheit sowie gegen die Freiheit der Meinungsäußerung gemäß Europäischer Menschenrechtskonvention. Dem 36-jährigen Semsrott wird vorgeworfen, im Zusammenhang mit einem Verfahren der Generalstaatsanwaltschaft München gegen Mitglieder der "Letzten Generation" wegen des Verdachts der Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung im vergangenen Jahr Gerichtsbeschlüsse in teilweise anonymisierter Form veröffentlicht zu haben. Die Strafnorm sieht vor, dass dies erst erfolgen darf, wenn das Gericht die amtlichen Dokumente selbst veröffentlicht oder in einer Verhandlung öffentlich erörtert hat.

Laut Verteidigung schränkt das Veröffentlichungsverbot von Gerichtsakten in laufenden Verfahren die Pressefreiheit ein. Durch das Zitierverbot aus amtlichen Gerichtsakten sei eine authentische Berichterstattung nicht möglich. Dies könne zu einer sinnentstellenden Wiedergabe von Textpassagen führen, sagte Rechtsanwalt Theune. Die Möglichkeit der Veröffentlichung aus Gerichtsakten, unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsschutzes Betroffener etwa durch Anonymisierung, diene heutzutage der Glaubwürdigkeit von Medien, sagte der Anwalt unter Verweis auf eine veränderte Medienlandschaft und Fake-News. Dazu beantragte er die Anhörung der Medienwissenschaftlerin Franziska Oehmer-Pedrazzi von der Fachhochschule Graubünden als Sachverständige.

Semsrott begründete sein wissentlich strafbares Handeln mit den aus seiner Sicht "tiefgehenden Grundrechtseingriffen" der Münchner Ermittlungsbehörden gegen die "Letzte Generation". Unter anderem sollen die Ermittler monatelang das "Pressetelefon" der Klimaaktivisten abgehört und damit auch die Arbeit von Journalisten überwacht haben. Laut Gericht hatte Semsrott am 22. August 2023 im Zusammenhang mit einem von ihm verfassten Artikel auf seinem Blog im Internet drei Gerichtsbeschlüsse mit wenigen Schwärzungen, aber mit Einverständnis der betroffenen Klimaaktivisten, veröffentlicht.

Unterstützt wird Semsrott in dem Gerichtsverfahren von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Die Anklageerhebung in diesem Fall erfolgte wegen der besonderen Bedeutung des Verfahrens für die Pressefreiheit direkt vor dem Landgericht, wie eine Gerichtssprecherin sagte. Nächste Instanz wäre deshalb im Rahmen eines Revisionsverfahrens dann der Bundesgerichtshof.

Quellen:

- https://www.zeit.de/news/2024-10/18/urteil-zu-veroeffentlichung-von-gerichtsdokumenten-erwartet

- https://www.sueddeutsche.de/bayern/internet-urteil-zu-veroeffentlichung-von-gerichtsdokumenten-erwartet-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-241018-930-263549

- https://www.stern.de/gesellschaft/regional/bayern/internet--urteil-zu-veroeffentlichung-von-gerichtsdokumenten-erwartet-35153118.html

- https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2024/10/gerichtsdokumente-veroeffentlichung-journalist-arne-semsrott.html

- https://www.sonntagsblatt.de/artikel/epd/gericht-muss-ueber-akten-veroeffentlichung-durch-medien-entscheiden

- https://www.augsburger-allgemeine.de/schlagworte/aa-prozess

- https://www.justiz.nrw/Service/datenschutz/rechtssachen/index.php

- https://sao.de/magdeburg/frau-magdeburg-angeschossen-tatverdachtiger-frei-ermittlungen-3934005

- https://justiz.de/onlinedienste/rechtsprechung/index.php

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