19.10.2024
Zukunft der Arbeit in der Plattformökonomie
Plattformökonomie: Wenn die App der Chef ist

Plattformökonomie: Wenn die App der Chef ist

In der heutigen digitalen Welt gewinnen Plattformen, die Dienstleistungen über Apps oder Webseiten vermitteln, zunehmend an Bedeutung. Diese Entwicklung hat zu einem neuen Arbeitsmodell geführt, das unter dem Begriff "Plattformökonomie" bekannt ist. Immer mehr Menschen in Deutschland arbeiten als sogenannte Crowdworker. Sie übernehmen Aufgaben wie Essenslieferungen, Handwerksarbeiten oder Reinigungsdienste, wobei die App oft die Rolle des Vorgesetzten einnimmt und entscheidet, welcher Auftrag als Nächstes zu bearbeiten ist.

Die Zahlen hinter der Plattformökonomie

Aktuellen Schätzungen zufolge sind in Deutschland rund 116.000 Menschen als Crowdworker tätig. Diese Zahl stammt aus einer Kleinen Anfrage der Linken im Bundestag, die auf Daten des Bundesarbeitsministeriums zurückgeht. Die Erhebung basiert auf dem Sozio-oekonomischen Panel, einer umfassenden wissenschaftlichen Umfrage, die diese Thematik erstmals beleuchtet. Zu beachten ist, dass etwa jeder 16. Solo-Selbstständige, der keine Mitarbeiter beschäftigt, als Crowdworker gilt. Diese Form der Beschäftigung wirft jedoch Fragen zur sozialen Absicherung und den Arbeitsbedingungen auf, da viele dieser Arbeitsverhältnisse als prekär eingestuft werden.

Prekäre Arbeitsverhältnisse

Die Arbeitsbedingungen in der Plattformökonomie sind häufig angespannt. Kritiker weisen darauf hin, dass viele Crowdworker fälschlicherweise als Selbstständige klassifiziert werden, obwohl sie in Wirklichkeit als Arbeitnehmer betrachtet werden sollten. Diese Klassifizierung hat erhebliche Auswirkungen auf ihre soziale Absicherung. Susanne Ferschl, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken, hat wiederholt die mangelnde soziale Absicherung für diese Beschäftigten kritisiert. Neuere Daten über die Arbeitsverhältnisse in der Plattformökonomie sind bislang nicht verfügbar, was die Situation zusätzlich kompliziert.

Rechtliche Rahmenbedingungen und Veränderungen

Im Jahr 2020 hat ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts dazu geführt, dass Crowdworker häufiger als Arbeitnehmer eingestuft werden müssen. Dies bedeutet, dass sie Anspruch auf Arbeitnehmerrechte wie Kündigungsschutz haben. Zudem hat die EU eine Richtlinie zur Plattformarbeit verabschiedet, die in deutsches Recht umgesetzt werden muss. Experten sind jedoch skeptisch, ob diese Maßnahmen signifikante Verbesserungen für die Crowdworker bringen werden.

Verdienste und Fluktuation

Eine Analyse der Arbeitsverhältnisse von fest angestellten Crowdworkern in Lieferdiensten zeigt, dass das durchschnittliche Jahreseinkommen bei etwa 16.400 Euro liegt. Dieses Einkommen berücksichtigt auch andere Tätigkeiten, die von den Crowdworkern häufig ausgeübt werden. Zudem ist die Fluktuation in diesem Berufsfeld hoch, da nur etwa jeder fünfte Crowdworker nach einem Jahr weiterhin in der Branche tätig ist. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Zahl der Crowdworker in Zukunft weiter steigen wird, was auf die anhaltende Digitalisierung und den Wandel der Arbeitswelt zurückzuführen ist.

Der Einfluss der Technologie auf die Arbeitswelt

Die Technologie hat die Art und Weise, wie Arbeit organisiert wird, grundlegend verändert. Plattformen wie Foodora oder Deliveroo bieten ihren Fahrern an, flexibel zu arbeiten und ihre eigenen Zeiten festzulegen. In der Realität jedoch wird die Arbeit durch Algorithmen und Apps stark reguliert. Die Fahrer sind oft der Illusion ausgesetzt, sie seien selbstständig, während sie in Wirklichkeit unter einem digitalen Kontrollregime arbeiten. Diese Kontrolle erfolgt durch GPS-Tracking und Echtzeitüberwachung ihrer Aktivitäten.

Autonomie oder Kontrolle?

Die Forschung zeigt, dass die vermeintliche Autonomie der Fahrer häufig nur eine Fassade ist. Obwohl sie theoretisch die Freiheit haben, ihre Schichten selbst zu wählen und die Gebiete zu bestimmen, in denen sie arbeiten, sind sie doch stark von den Vorgaben der Plattform abhängig. Anweisungen und Benachrichtigungen erfolgen automatisiert über die App, und menschliche Vorgesetzte greifen nur ein, wenn die automatisierte Kommunikation nicht funktioniert. Viele Fahrer empfinden diese Form der Kontrolle als weniger störend, da sie an die digitale Kommunikation gewöhnt sind.

Ausblick auf die Zukunft der Plattformökonomie

Die Plattformökonomie bleibt ein dynamisches und oft umstrittenes Feld. Während die Technologie weiterhin voranschreitet und neue Arbeitsmodelle hervorbringt, bleibt die Frage nach der sozialen Absicherung und den Rechten der Crowdworker unerledigt. Die Bundesregierung steht vor der Herausforderung, angemessene Regelungen und Daten zu entwickeln, um die Arbeitsbedingungen in der Plattformökonomie zu verbessern. Es bleibt abzuwarten, ob die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen und EU-Richtlinien zu einer spürbaren Verbesserung der Situation für Crowdworker führen werden.

Fazit

Die Plattformökonomie hat die Arbeitswelt revolutioniert, wobei die Apps oft die Rolle des Chefs übernehmen. Dies führt zu einer neuen Form der Beschäftigung, die sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich bringt. Während die Flexibilität und Selbstbestimmung in der Theorie ansprechend sind, müssen die realen Bedingungen und das Fehlen von sozialer Absicherung kritisch betrachtet werden. Ein umfassender Dialog über die Zukunft der Arbeit in der digitalen Ära ist unerlässlich, um ein nachhaltiges und gerechtes Arbeitsumfeld für alle Beschäftigten zu schaffen.

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