Rita Paul, eine elegante Erscheinung mit silbergrauen, akkurat geföhnten Haaren, Lederjacke und selbstgemachter Brosche, schreitet durch die Lobby des Washington Square Hotels. „Die Bilder dort, die habe alle ich gemalt“, erklärt die 97-Jährige, wie Alfons Kaiser in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 16. November 2024 berichtet. „Und die Kacheln da hinten sind auch alle von mir.“ Ihr Blick fällt auf eine unansehnliche Schlüsselbox. Sofort wendet sie sich an den Portier: „Die kann da so nicht stehen, das sieht nicht schön aus. Bitte räume die Box sofort aus dem Weg.“
Seit einem halben Jahrhundert leitet Rita Paul das Hotel im Herzen Manhattans. Gemeinsam mit ihrem 2014 verstorbenen Mann Daniel verwandelte sie die einst renovierungsbedürftige Unterkunft in ein beliebtes Hotel für Künstler und Prominente. Bob Dylan und die Rolling Stones zählten zu ihren Gästen. Die New York Times beschrieb das Hotel jüngst als „geschichtsträchtig“ und „unkonventionell“. Offiziell hat Pauls Tochter Judy die Leitung übernommen, doch Rita Paul ist als künstlerische Leiterin täglich präsent, gestaltet die Räume mit ihren Kunstwerken und lenkt die Geschicke des Hauses. „Meine Mutter ist einfach ein Rockstar“, sagt Judy Paul.
1927 wurde Rita Paul als Rita Puchalski in Berlin geboren. Ihre Eltern, ursprünglich aus Osteuropa stammend, hatten zuvor in Tel Aviv gelebt. An ihre Kindheit in Berlin hat sie nur wenige Erinnerungen. Sie weiß noch, dass die Familie in einer großen Wohnung gegenüber der Deutschen Oper wohnte und dass sie sich einmal im Kaufhaus des Westens von ihrer Mutter verlor und allein nach Hause lief. Krankheitsbedingt besuchte sie nur kurz die Schule und lernte kaum Deutsch. Wie die Salzburger Nachrichten am 15. Mai 2023 berichteten, erinnert sie sich an einzelne deutsche Wörter wie „Dingsbums“.
1933 floh die jüdische Familie vor den Nationalsozialisten zunächst nach Paris. 1940 setzten sie ihre Flucht per Schiff nach New York fort, vorbei an der Freiheitsstatue – ein Moment, der Rita Paul lebhaft in Erinnerung geblieben ist. Die Familie fand Unterkunft bei einer Tante in Brooklyn. „Es war wie Tag und Nacht“, erinnert sie sich. „Alles war komplett anders. Das Essen, die Schule – alles.“ Englisch lernte sie schnell. „Das hat höchstens drei Monate gedauert.“ Nach dem Schulabschluss studierte sie Mode und Design. Über das Immobiliengeschäft ihres Vaters, das dieser in New York wieder aufnahm, kam sie gemeinsam mit ihrem Mann ins Hotelgewerbe – zunächst in Brooklyn, später in Manhattan.
1973 kauften die Pauls das damalige Hotel Earle am Washington Square Park im legendären Greenwich Village. Der Park mit seinen Grünflächen, dem Brunnen und dem Washington Square Arch war schon damals ein Anziehungspunkt für eine bunte Mischung aus Studenten, Musikern, Künstlern und Drogenhändlern. Das Hotel, so Rita Paul, war bei der Übernahme „eine Müllhalde“. Dennoch zog die Gegend bereits damals berühmte Künstler an. Schriftsteller wie Ernest Hemingway und Dylan Thomas sowie Musiker wie Bob Dylan, Bo Diddley und die Rolling Stones übernachteten im Washington Square Hotel. Joan Baez verewigte es sogar in ihrem Song „Diamonds & Rust“.
Die Pauls renovierten das Hotel und lebten selbst rund zwölf Jahre dort. „Wundervolle Jahre“, erinnert sich Rita Paul, die heute in einer kleinen Wohnung in der Nähe lebt, aber die meiste Zeit im Hotel verbringt und dort auch isst. Das Hotel ist ihre „Galerie“, sagt Paul, die auch auf ihrem Handy oft an Kunstwerken arbeitet. „Ich hatte nie eine reguläre Galerie – vielleicht, weil ich nicht genug Kunst hergestellt habe, oder vielleicht, weil niemand Interesse hatte. Aber hier hält mich keiner auf.“ Jede Wand, jede Säule, jede Tür hat sie in ihrem „eklektischen Stil“ gestaltet. So hat das Hotel, gerade in einer Stadt wie New York mit vielen Hotelketten, einen individuellen Charakter erhalten.
Das Hotel heute zu führen, sei nicht leicht, sagen Rita und Judy Paul. Die Pandemie überstanden sie dank staatlicher Hilfen. Inzwischen sind die rund 150 Zimmer auf neun Stockwerken wieder gut gebucht, aber die Unterhaltskosten sind gestiegen. „Kopfschmerzen, Kopfschmerzen“, sagt Judy Paul. „Aber wir schaffen es.“ Ans Aufhören habe sie nie gedacht, sagt Rita Paul. „Mein Mann und ich haben das hier geschaffen, und ich liebe alles daran. Wenn man so etwas machen kann, dann hat man Glück.“
Ihr Geheimnis, wie sie mit 97 Jahren noch so fit und aktiv ist? „Darauf gibt es eine sehr einfache Antwort: 80, 90 oder mehr Minuten jeden Tag auf dem Laufband mit der ‚New York Times‘.“
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