17.10.2024
Reibungsloser Auftakt im Brandenburger Landtag

Anders als in Thüringen: In Brandenburg bleibt das Desaster aus

Der Alterspräsident des Brandenburger Landtags, Reinhard Simon (BSW), zeigte sich erleichtert, als er die Leitung der Sitzung endlich abgeben konnte. Die Parlamentarier hatten soeben die alte und zugleich neue Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) gewählt, die daraufhin ordnungsgemäß die Führung übernahm. Bereits nach seiner Eröffnungsrede hatte Simon bemerkt: „Bin froh, dass ich’s hinter mir habe“, und räumte nun sichtlich zufrieden seinen Platz. Schon dies deutete auf eine ungewöhnliche Zusammenkunft hin.

Im Gegensatz zum Thüringer Landtag, wo die konstituierende Sitzung in einem Eklat geendet war, weil die AfD als stärkste Fraktion die Landtagspräsidentin stellen wollte, verlief die Sitzung in Brandenburg weitgehend reibungslos. Dort hatte die SPD die Wahl gewonnen und besaß somit das Vorschlagsrecht.

Im Vorfeld hatten sich die vier Fraktionen des neuen Landtags auf Vorschlag des BSW-Landesvorsitzenden Robert Crumbach darauf verständigt, die Anzahl der Vizepräsidenten auf drei zu erhöhen. Dadurch konnte jede der vier Fraktionen auf einen der Posten hoffen. Die AfD hatte bereits in der vergangenen Legislaturperiode einen Vizepräsidenten im Brandenburger Landtag gestellt.

Ungewöhnlich war die erste Sitzung der 88 Abgeordneten vor allem aufgrund ihrer Zusammensetzung. Fast die Hälfte der Abgeordneten nahm zum ersten Mal im Landtag Platz. Auch Alterspräsident Simon haderte mit seiner Rolle, allerdings auf eine genüssliche Art. „In meinem Wikipedia-Eintrag steht jetzt neben ,Theaterintendant’ auch ,Politiker’“, teilte er dem Parlament in seiner Eröffnungsrede mit.

Von 1990 bis 2019 leitete er die Uckermärkischen Bühnen in Schwedt. Bis Anfang dieses Jahres war er parteilos, trat dann aber dem BSW bei. In Schwedt engagierte er sich seit 2022 gegen die Sanktionen gegen Russland und forderte auf Kundgebungen Friedensverhandlungen. In der Stadt in der Uckermark arbeiten über tausend Menschen in der PCK-Raffinerie, die bis zum Beginn des Krieges Öl aus Russland bezog.

Der Alterspräsident erteilt Lesehinweise

„Warum bin ich Politiker geworden?“, überlegte Simon. „Kurzversion: weil es nicht anders ging.“ Er empfinde Unbehagen angesichts der Landes-, aber auch der Bundespolitik. In Schwedt sorgten sich viele Bürger um die Zukunft der Arbeitsplätze in der Raffinerie. Er setze sich dafür ein, internationale Konflikte und Kriege „nicht zu glorifizieren“. Das Theater, beispielsweise „Hamlet“, in dem am Ende fast alle Figuren tot seien, zeige unabwendbare Tragödien als Warnung, damit die Menschen sie im realen Leben verhindern.

Simon gab Leseempfehlungen (Dirk Oschmann – „wer es noch nicht gelesen hat – bitte nachholen“) und sprach über sein Netzwerk („Manfred Stolpe bot mir mal auf der Herrentoilette das Du an“), um dann zu dem Schluss zu kommen, man müsse die Abstiegsängste der Menschen ernst nehmen und ihnen mit einer klugen Politik begegnen. Die Abgeordneten seien schließlich auch nur „Bürger im Plenarsaal“. Simon regte an, seinen Wikipedia-Artikel in diesem Sinne zu überarbeiten.

Im Anschluss wurde die Sozialdemokratin Ulrike Liedtke in ihrem Amt als Landtagspräsidentin bestätigt. 70 Abgeordnete stimmten für sie, acht dagegen, sieben enthielten sich. Eine Stimme war ungültig, zwei Parlamentarier fehlten. Liedtke führte nun durch die Tagesordnung, auf die sich das Parlament einstimmig geeinigt hatte und die vor allem die Wahl der Vizepräsidenten vorsah.

Zuvor hatte Liedtke in ihrer Rede dazu aufgerufen, die neue Zusammensetzung des Landtags als Chance zu begreifen: „Wir müssen selbst einen Umgang miteinander finden. Nach diesem Wahlergebnis wird es unsere gemeinsame Aufgabe sein, zu einigen, womöglich auch zu versöhnen.“ Das bedeute nicht, dass „Brandmauern eingerissen“ werden müssten: „Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind und bleiben abscheulich. Aber nicht alle Anhänger populistischer Organisationen sind rechtsextrem, rassistisch, antisemitisch.“ Man könne sich abgrenzen, ohne Menschen auszugrenzen.

Die Abgeordneten wählten anschließend alle drei von den Fraktionen vorgeschlagenen Kandidaten zu Vizepräsidenten: für die AfD Daniel Münschke, für das BSW Jouleen Gruhn und für die CDU Verkehrsminister Rainer Genilke. Der AfD-Politiker Münschke erreichte die erforderliche Stimmenzahl erst im zweiten Wahlgang. 41 Abgeordnete stimmten mit Ja, 34 mit Nein, elf enthielten sich. Münschke gehört bisher nicht zu den Abgeordneten, die vom Landesverfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft werden.

In das Präsidium des Landtags wurden auch zwei AfD-Abgeordnete gewählt, die als rechtsextrem eingestuft werden, nämlich der Fraktionsvorsitzende Christoph Berndt und der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Dennis Hohloch. Für die SPD-Fraktion wurden deren Vorsitzender Daniel Keller und der Parlamentarische Geschäftsführer Ludwig Scheetz gewählt, für das BSW der Landes- und Fraktionsvorsitzende Crumbach.

Die Regierungsbildung in Brandenburg dauert indes weiter an. SPD und BSW befinden sich in Sondierungsgesprächen. Ministerpräsident Dietmar Woidke hatte vor einigen Tagen von „guten Fortschritten“ dabei gesprochen.

Quelle: F.A.Z.

Die Präsidentin des Brandenburger Landtags, Ulrike Liedtke, hat in der ersten Sitzung des neuen Parlaments zu mehr Miteinander und einer klaren Absage an Rechtsextremismus aufgerufen. „Nach diesem Wahlergebnis wird es unsere gemeinsame Aufgabe sein, zu einigen, womöglich auch zu versöhnen“, sagte sie nach ihrer Wiederwahl. „Dazu muss keine Brandmauer eingerissen werden. Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind und bleiben abscheulich. Aber nicht alle Anhänger populistischer Organisationen sind rechtsextrem, rassistisch, antisemitisch.“

SPD und AfD sind nach der Wahl vor dreieinhalb Wochen gestärkt, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist neu in den Landtag eingezogen, die CDU-Fraktion ist kleiner geworden. Grüne, Linke und BVB/Freie Wähler sind nicht mehr im Landtag vertreten. Die AfD, die zweitstärkste Kraft wurde, hat wie in Thüringen mehr als ein Drittel der Mandate und kann damit Entscheidungen wie Verfassungsänderungen, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig ist, verhindern.

Die Sitzung verlief geordnet und ohne ähnliche Krisen wie beim Auftakt des Thüringer Landtags Ende September. Dort hatte AfD-Alterspräsident Jürgen Treutler Abgeordneten das Wort entzogen und Abstimmungen nicht zugelassen. Er hielt sich erst nach einem Spruch des Verfassungsgerichtshofs an die Regeln.

Landtagspräsidentin wirbt für Mitmenschlichkeit

Präsidentin Liedtke möchte den Landtag zu einem „Labor des Wandels für die Demokratie in Deutschland“ machen. „Es geht um eine menschenfreundliche, eine mitmenschliche Politik, für ein vielfältiges, tolerantes, weltoffenes Brandenburg“, sagte sie. Man könne „sich abgrenzen, ohne Menschen auszugrenzen“. Für diesen Satz erhielt sie Applaus von allen Fraktionen mit Ausnahme der AfD.

Der Verfassungsschutz Brandenburg stuft die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein und einige AfD-Landtagsabgeordnete als rechtsextrem - ihre genaue Zahl ist unklar.

Die 65-jährige Liedtke erhielt bei der Wahl 70 Ja-Stimmen von 85 gültigen Stimmen der Abgeordneten. Sie warb dafür, dass der Landtag ein offenes Haus „ohne Röntgengeräte wie auf Flughäfen“ bleibt. Der Landtag solle gesellschaftliches Zentrum in Brandenburg und Begegnungsort mit Bürgerinnen und Bürgern sein.

Quelle: dpa

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