Virtuelle Hauptversammlungen (HVs) haben sich in den letzten Jahren, insbesondere während der Corona-Pandemie, als Alternative zu Präsenzveranstaltungen etabliert. Während Unternehmen oft Kostenersparnisse und eine höhere internationale Beteiligung als Vorteile anführen, sehen Aktionärsschützer und Anlegerverbände im digitalen Format erhebliche Nachteile, wie diverse Medienberichte zeigen.
Ein zentraler Kritikpunkt ist der eingeschränkte Dialog zwischen Aktionären und Unternehmensführung. Wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) berichtet, wird die virtuelle HV oft als "Notartermin im Fernsehen" kritisiert. Der direkte, persönliche Austausch, der auf Präsenzveranstaltungen möglich ist, fehlt. Auch die Interaktion der Aktionäre untereinander ist im digitalen Raum deutlich erschwert, was die Meinungsbildung und den kritischen Diskurs behindert. Wie die Tagesschau berichtet, beklagen Aktionärsschützer eine Einschränkung der Aktionärsrechte durch das virtuelle Format. Die DSW betont im "HV-Report", dass der "konstruktive Austausch der Aktionäre mit der Verwaltung aber auch der Dialog untereinander" wichtige Elemente einer HV sind, die im digitalen Format leiden.
Technische Schwierigkeiten stellen ein weiteres Problem dar. Die Tagesschau zitiert die DSW, die in einer Erhebung festgestellt hat, dass es bei jeder dritten Online-HV im Jahr 2023 zu technischen Problemen kam. Diese führten zu Unterbrechungen und verlängerten die Veranstaltungen. Auch das pt-Magazin berichtet von technischen Problemen bei den HVs von TUI und Siemens Energy. Diese technischen Schwierigkeiten können die Informationsaufnahme und die Ausübung der Aktionärsrechte beeinträchtigen. Hinzu kommen Zugangshürden für Aktionäre, die nicht über die notwendige technische Ausstattung oder digitale Kompetenz verfügen. Das pt-Magazin weist darauf hin, dass ein Internetausfall beim Empfänger diesem zugerechnet wird und keinen Anfechtungsgrund darstellt.
Obwohl das Rederecht in virtuellen HVs gesetzlich garantiert ist, sehen Kritiker hier dennoch Einschränkungen. Das pt-Magazin berichtet, dass das Frage- und Antragsrecht "sehr restriktiv gestaltet" sei. Die Vorab-Einreichung von Fragen kann das Fragerecht bereits mit der Einladung beschränken. Auch die Möglichkeit von Nachfragen ist eingeschränkt, was den Informationsfluss behindert. Wie Juhn.com erläutert, muss das Rederecht in virtuellen HVs zwar gewährleistet sein, die konkrete Ausgestaltung liegt jedoch bei der Gesellschaft. Dies kann zu unterschiedlichen Praktiken und einer Benachteiligung von Aktionären führen.
Kritische Aktionäre bemängeln, dass virtuelle HVs die Transparenz verringern und den Einfluss von Stimmrechtsberatern stärken. Wie auf kritischeaktionaere.de berichtet wird, orientieren sich viele Fonds an den Empfehlungen von Stimmrechtsberatern wie ISS. Dies kann dazu führen, dass die tatsächliche Meinung der Aktionäre in den Abstimmungen nicht ausreichend berücksichtigt wird. So stimmten die meisten HVs trotz kritischer Redebeiträge für die Ermächtigung der Vorstände, zukünftig über das HV-Format zu entscheiden. Auch das Handelsblatt berichtete über den Einfluss von ISS auf die Entscheidungen der Deutschen Börse.